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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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nicht
allein.«
    »Sondern?«
    »Osman Vuk war bei ihr. Er ist dann
gleich gegangen.«
    »Sicher wollte er etwas von mir.«
    »Schon möglich. Nur damit du
Bescheid weißt.«
    Er traute niemandem, schon gar nicht
den Frauen. Und er ermahnte mich, wachsam zu sein, aber in dieser Beziehung
hatte ich keine Sorgen, Gott sei Dank.
    Avdaga verschwand in der Dunkelheit
und ließ mich erschüttert zurück,. Ramiz' wegen.
    Er hatte erzählt, wie oft er an
seine Familie und sein Zuhause dachte, jetzt dachte er noch mehr an sie. Er
haßte alle Avdagas dieser Welt und ihre Herren noch mehr, er hatte die
Erniedrigten zum Kampf gegen sie aufgerufen und an die Wärme eines Gesprächs
unter Freunden gedacht. Und an sein Mädchen hatte er gedacht. Sicher erzählte
er ihr jetzt im Festungskerker mit geschlossenen Augen, wie ihn grausame
Menschen heute abend fortgeschleppt hatten, nicht die Seinen, die hatten ihn
wie jeden Abend in der Moschee erwartet, und wie er an diese Menschen und an
sie dachte, denn man hatte ihm nur die Gedanken gelassen.
    Jetzt war er allein, schrecklich
allein, vielleicht erinnerte er sich an jemanden, den er gern zum Freund gehabt
hätte, vielleicht auch an mich, vielleicht umkreisten seine Gedanken meinen
Kopf, und ich sah sie nicht, ahnte sie nur.
    Ich wußte nicht, wie ihm zumute war,
vielleicht fühlte er sich verlassen, vielleicht war unabsehbare schwarze Leere
rings um ihn, er hatte an alle gedacht, an ihn dachte niemand. Er wachte in Sorge,
die Menschen schliefen.
    Vielleicht täuschte ich mich auch.
Vielleicht war sein gutes Herz zufrieden, weil er getan hatte, was er konnte,
vielleicht glaubte er, daß die Menschen seinetwegen keinen Schlaf fanden, daß
die Saat seiner Worte in ihnen keimte, vielleicht war er überzeugt, daß ein
anderer Ramiz seinen Platz einnehmen und um das Glück der Menschen kämpfen
würde. Nicht alle konnten furchtsam und selbstsüchtig sein.
    Ich sah ihn wie einen winzigen
hellen Punkt im Dunkel dieser Nacht, im Dunkel dieser Welt, und mir schien, als
stünde mir dieser fremde junge Mann näher als alle Menschen der Erde.
    Es nützte nichts, ich konnte weder
ihm noch mir helfen. Was auch immer er getan hatte, der helle Punkt würde zu
weißer Asche werden, und mein Kummer um ihn zu wehmütiger Erinnerung.
    Jetzt aber ließ mich das Verhängnis,
das über dieser Welt hing, fast ersticken.
    Doch das mußte ich für mich
behalten. Ich durfte Tijana nicht in neue Aufregung versetzen.
    »Hat er etwas gesagt?« fragte sie
und meinte Avdaga.
    Auch ich würde an ihn denken, um nicht an Ramiz zu denken.
    »Er sagt, daß du gefährlich bist.«
    »Vielleicht habe ich übertrieben.
Ich hätte nicht so reden sollen.«
    »Warum nicht? Du hast die Wahrheit
gesagt.«
    »Nein, nein, ich habe übertrieben.
Das war dumm.«
    Umsonst versuchte ich ihr
einzureden, daß sie im Recht war und Avdaga in Verlegenheit gebracht hatte. Und
zu spät fiel mir ein, was ich für einen Fehler machte: hätte ich ihr
vorgeworfen, daß sie zu weit gegangen war, hätte sie ihren Standpunkt
verteidigt. Aber da sie sich vor mir nicht zu rechtfertigen brauchte, begann
sie sich anzuklagen. Sie schalt sich selbst und wünschte sich zugleich, daß ich
ihr beisprang, damit sie sich an meinen Schutz erinnern konnte.
    Und dann entdeckte sie mir, was ich
wußte: Sie war ihres Vaters wegen in solche Erregung geraten, schon hatte sie
zu ihrer Schande begonnen, ihn zu vergessen, nicht einmal sein Grab kannte sie,
einst hatte sie geglaubt, vor Schmerz und Trauer sterben zu müssen, und nun
dachte sie kaum noch an ihn, aber Avdaga hatte sie wieder an ihn erinnert und
die alten Wunden aufgerissen. Es hieß, daß er ihn getötet hatte.
    »Beruhige dich. Denk nicht mehr
daran. Und nach dem Grab werden wir uns erkundigen. Ich werde die Bauern
fragen.«
    »Warum? Er hat immer gesagt: Wenn
ich sterbe, ist es gleichgültig, wo.«
    »Darüber sprechen wir später. Und
nun versuch zu schlafen.«
    »Ich kann nicht. Ich ärgere mich,
weil ich so geredet habe. Jetzt wirst du noch mehr Schwierigkeiten bekommen.«
    Sie weinte in meinen Armen,
seufzend, von bösen Ahnungen gequält.
    Ich trocknete die Tränen, die ihren
Schmerz fortschwemmten, und tröstete sie mit der leichtsinnigen Überlegung,
daß Ahnungen kein Unglück bringen und daß das Böse unangemeldet eintrifft.
Aber auch das Gute. Das Unglück hatte uns verfolgt, als wir am wenigsten schuld
waren, warum sollte es uns nicht verschonen, nun da wir glaubten, unter
Anschuldigungen zu

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