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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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zu
entscheiden.«
    »Aber du hältst es für keine Sünde.
Und warum? Weil jemand gesagt hat, daß er dem Staat gefährlich ist.«
    »Er ist gegen den Staat.«
    »Armer Staat, dem ein einziger
Mensch gefährlich werden kann«, sagte Tijana angriffslustig. »Er ist aber nicht
dem Staat gefährlich, sondern jemandem, der sich für den Staat hält.«
    Jetzt staunte nicht nur Avdaga über
ihre Worte, sondern auch ich.
    Ich gab ihr durch Blicke zu
verstehen, daß sie aufhören, sich mäßigen sollte. Sie hatte die Grenzen
des Erlaubten bedenklich überschritten, bemerkte aber weder meine Zeichen,
noch scherte sie sich um irgendwelche Grenzen.
    »War mein Vater eine Gefahr für den
Staat?« fuhr sie erbittert fort und verriet damit den Grund für ihre
Heftigkeit. »Nein, er
war für niemanden eine Gefahr. Und dennoch ist er getötet worden. Einer hat den
Befehl bekommen und gehorcht. Vielleicht nur, weil er im Rausch etwas gesagt
hatte oder weil es jemandem so vorgekommen
war, als hätte er es gesagt. Das Leben eines anderen ist wohlfeil, Avdaga. Es
gibt viele, die keinen bedauern. Und warum macht ihr auch aus rechtschaffenen
Menschen Verbrecher? Laßt sie doch, wie sie sind, wenn auch nur zum Bestaunen.«
    »Wie seltene Tiere«, fügte ich
lachend hinzu, da mir schon nichts anderes übrigblieb.
    »Und dir danken wir für den Besuch.
Aber wenn du gekommen bist, um Ahmet zu einer häßlichen Sache zu überreden,
dann war es umsonst. Und nun ist es Zeit, schlafen zu gehen. Es ist spät.«
    So warf sie ihn ganz rücksichtslos
hinaus.
    Ich wußte nicht, was Avdaga getan
hätte, wenn ich das gesagt hätte, ihr gab er nicht einmal einen bösen Blick. Er
bewegte nur seine langen Beine und Arme, als wüßte er nicht wohin damit.
    Mir schien, als habe er schon früher
gehen wollen und nur nicht gewußt wie, damit es weder wie eine Niederlage noch wie bloßer
Trotz aussah. Er wählte die dümmste Art und Weise. Er sah mich an, wies mit dem
Kopf auf Tijana, ungeschickt lächelnd und wortlos, als wollte er sagen: So ist
sie also! Und da er das Gefühl hatte,
sich gut aus der Klemme gezogen zu haben, stand er auf, schlug sich auf die
Schenkel und sagte zum Abschied (ich hielt es für Hohn, aber nein, es war ganz
ernst gemeint):
    »Wir haben uns wunderbar
unterhalten. Nichts für ungut.«
    Und wie wunderbar wir uns
unterhalten hatten – wie mit Knüppeln hatten wir aufeinander eingeschlagen.
    Aber man konnte nicht sagen, daß er
beleidigt davonzog. Wer wußte schon, was sein harter Schädel aufgenommen hatte
und was nur an seinen Ohren vorübergeflogen war.
    Dann fiel mir ein, daß er sogar
Hochachtung vor uns empfinden konnte, weil wir mit Arglist nichts zu tun haben
wollten und ihm sagten, was wir dachten. Vielleicht, denn Avdaga war grausam,
doch nicht verdorben, er kannte keine Gnade, aber auch keine List. Er war ein
Mann des Volkes, der aus der Art geschlagen war, der anders pflügte und eggte
als sein Vater, aber etwas Menschliches konnte sich in ihm erhalten haben. Ein
Korn, ein Bodensatz, eine blasse Erinnerung. Aber all das dachte ich nur so,
denn ich wußte nicht, was für seltsame Dinge in der Seele eines Henkers vor
sich gehen.
    Ich brachte ihn bis zur Gasse und
wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte das Gesagte weder abschwächen
noch bekräftigen.
    »Deine Frau ist gefährlich«, sagte
er, nachdem wir die Treppe hinuntergegangen waren, vermutlich damit sie ihn
nicht hörte. »Jetzt weiß ich, warum du abgelehnt hast. Ihretwegen.«
    »Wieso ihretwegen? Ich habe dir
sofort geantwortet, ohne sie zu fragen.«
    »Du hättest ihr nicht unter die
Augen kommen dürfen, wenn du zugestimmt hättest. Und ich frage mich, warum.
Jetzt habe ich gesehen, warum. Ein Glück, daß ich nicht geheiratet habe. Aber
ich habe dir gar nicht gesagt, weshalb ich gekommen bin.«
    Nun endlich fiel es ihm ein.
    »Džemal-Effendi läßt dir bestellen,
daß du morgen mittag in die Beg-Moschee kommen sollst. Und er sagt, daß du
nicht recht hast, er ist dir nicht böse.«
    »Warum soll ich in die Moschee
kommen?«
    »Es werden lauter Ulemas dasein. Man
wird über den Studenten Ramiz sprechen.«
    »Was wird man sprechen?«
    »Tja, das weiß ich nicht. Man hat
Ramiz in die Festung gesperrt, hast du das gehört?«
    »Wann?«
    »Bei Einbruch der Dämmerung. Die
Leute, zu denen er gesprochen hat; haben ihn den Behörden übergeben. Also, komm
bestimmt.«
    Er machte ein paar Schritte und
kehrte noch einmal um.
    »Als ich kam, war deine Frau

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