Die Festung
Gesang
und fröhliche Stimmen.
Sie wußten nichts von Ramiz, von der
Versammlung in der Moschee, von anderen traurigen Dingen, und so unwissend
würden sie weiterleben.
Ich sah sie nur im Vorübergehen,
aber sie gingen mir lange nicht aus dem Sinn. Zum Teufel mit euch, dachte ich.
Laßt es euch wohl ergehen, dachte ich.
Warum war ich nicht wie sie? Warum
kümmerte ich mich nicht um mein eigenes Leben? Warum berührte mich das, was
mich nichts anging?
Vielleicht würde ich genesen,
vielleicht würde ich reifen. Einmal. Ich wußte nicht wann.
Ich wollte nicht an Ramiz denken.
Jetzt dachte ich nicht an Ramiz,
sondern an das, was man über ihn sagen würde. Es war bald Mittag.
Ich ging in die Moschee, ohne die
auf dem Hof Versammelten anzusehen, und setzte mich in die Nähe der Tür.
Die Moschee füllte sich, und ich
blieb zum Glück unbemerkt, denn alle schauten auf jene, die als letzte
eintraten, die Gelehrten, die Vorbeter und Prediger, die hochgestellten
Schreiber und den obersten Kadi in Begleitung Džemal Zafranijas. Džemal
lächelte allen zu, ohne jemanden zu sehen, wärend der Kadi finster auf einen
gedachten Punkt vor sich starrte.
Mula Ibrahim kam mit den letzten,
ging, ohne mich zu bemerken, an mir vorüber, und als er mich entdeckte, blieb
er stehen und sah sich nach einem besseren Platz um, wobei er tat, als hätte er
mich nicht erkannt.
Er hatte recht, denn tatsächlich,
was suchte ich in dieser Versammlung? Alle mußten glauben, daß ich eigenmächtig
eingedrungen oder aus Versehen eingeladen worden war.
Diese Leute waren das Hirn und das Mark
der Stadt, und wenn durch einen seltsamen Zufall das Dach der Moschee
eingestürzt wäre, hätte die Stadt Kopf und Gewicht verloren. Bei allem
Bedauern, das ich deshalb empfunden hätte, wäre ich glücklich gewesen, mit
heiler Haut davonzukommen, wenn auch als einziger, denn es hätte sich nicht
gehört, mit so bedeutenden Männern auf einer Liste zu stehen.
Dies war kein boshafter, sondern ein
zerstreuter Gedanke. Seit dem Morgen hatte ich nichts gegessen, mein Magen
schmerzte, in den Därmen rumorte es, die Hände brannten. Wäre ich
hinausgegangen, um ein stilles Örtchen aufzusuchen, hätte man geglaubt, ich
wollte der Versammlung entfliehen.
Mir kamen die verrücktesten Dinge in
den Sinn. Avdaga würde aufstehen und sagen, daß er mich aufgefordert habe,
gegen Ramiz zu zeugen, und daß ich abgelehnt habe. Er würde sich auch der
Gesellschaft bei Hadschi Duhotina erinnern, er würde anführen, daß meine Frau
Christin war, und wenn er erwähnte, was sie ihm am Vorabend alles gesagt hatte,
würden sich alle umdrehen und die Mißgeburt, die sich Ahmet Šabo nannte, mit
Blicken durchbohren.
Ich wußte, daß das lächerlich war.
Der Serdar Avdaga oder Džemal Zafranija, selbst der letzte Pandur konnte mich
allein zur Strecke bringen, ohne so viele Herren zu bemühen. Aber das erregte
Gehirn war wie ein zu Tode erschrockenes Tier, das sich rings von Feinden
umgeben wähnte.
Warum hatte man mich eingeladen?
Vorn erhob sich Džemal Zafranija und
begann zu sprechen. Er blinzelte mit den kurzsichtigen Augen, und mir war, als
sähe er allein mich an, er lächelte liebenswürdig und kalt, liebenswürdig im
eigenen Namen, kalt im Namen des Kadis, und er sagte, auf Anordnung des
ehrenwerten und achtbaren Kadi-Effendi, dessen Ansehen, Redlichkeit und
Weisheit auch außerhalb der Stadt berühmt seien (er verneigte sich vor dem
Kadi, der diese verschämte Schmeichelei ruhig und ungerührt hinnahm), auf
diese Anordnung, die ihm eine Ehre sei, habe er die angesehensten Männer zu
dieser Versammlung gebeten, wofür er ihnen in seinem Namen danke. Der Anlaß
für diese Versammlung sei klein und bedeutungslos, aber der wirkliche Grund sei
sehr wichtig, und er werde ihn mit der Erlaubnis und auf den Befehl des
ehrenwerten Kadis so kurz wie möglich erläutern, damit Klügere als er ihre
Meinung dazu sagen könnten. In unserer Stadt habe sich ein Hochstapler namens
Ramiz aufgehalten, ein notorischer Nichtsnutz, der von sich behauptet habe,
Student der Al-Azhar zu sein, was sicherlich eine Lüge sei, und wenn es wahr
sei, dann sei es eine Schande für ihn und nicht für die Al-Azhar. Niemand habe
etwas dagegen gehabt, daß er in der Stadt lebte, unsere Gastfreundschaft sei
jedermann bekannt. Auch habe niemand etwas dagegen gehabt, daß er Vorträge
gehalten habe, wir hätten die allgemeine Redefreiheit, aber dieser Ungläubige
und Nichtswisser habe es gewagt, den
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