Die Festung
sagen? Was für
Verbindungen haben wir zum Volk? Wenige, und sie werden immer loser. Zwischen
uns und dem Volk wächst eine Grenze auf, und über die Grenze schicken wir nur
die Panduren. Dies ist kein einiger Staat, wir schaffen den unseren, das Volk
den seinen. Zwischen diesen beiden Staaten gibt es nicht sehr freundschaftliche
Beziehungen. Und nicht durch die Schuld des Volkes. Die Schuld liegt bei uns,
in unserer Hoffart, Selbstsucht und Rücksichtslosigkeit, in tausend dummen Angewohnheiten,
ohne die wir uns das Leben nicht vorstellen können. Nur uns behalten wir das
Recht vor, zu denken, den richtigen Weg zu weisen, Schuld und
Strafe zu bestimmen. Der Koran aber sagt: Entscheidet alles gemeinsam und in
Eintracht. Wir verstoßen gegen den Koran. Wir verstoßen auch gegen den gesunden
Menschenverstand, denn wir bemühen uns nicht, das gut zu tun, was wir zu
unserem Recht erhoben haben. Wir denken schlecht, denn wir sondern uns ab, wir
weisen den Weg durch undurchdringliches Gestrüpp und nicht durch weite Straßen,
wir verhängen ungerechte Strafen und noch ungerechtere Schuldsprüche. Deshalb
konnte ein Rebell so lange zu den Menschen sprechen, ohne daß wir etwas
erfuhren. Das Volk hat ihn gedeckt, ist euch das nicht klar? Und nun fordern
wir noch größere Strenge, verlangen grausame Unterdrückung, wollen Ordnung
durch Angst herbeiführen. Ist das je einem gelungen? Habt ihr einmal darüber
nachgedacht, wodurch wir dem Volk in Erinnerung bleiben werden? Durch die
Furcht, die wir säen? Durch die Härte, mit der wir uns verteidigen? Durch das
schwere Leben, um das wir uns nicht kümmern? Durch die leeren Worte, die wir
ausstreuen? Ihr habt hier gewetteifert, wer die schlimmsten Drohungen ausstößt,
wer die schwärzere Gewalt fordert, wer das strengere Gesetz vorschlägt. Aber
niemand denkt an unsere Fehler, niemand erwähnt die tieferen Gründe unserer
Schwierigkeiten, niemand wundert sich, daß es solche Erscheinungen nicht
früher, nicht in größerer Zahl gab. Und warum? Ich glaube nicht, daß ihr alle
so denkt, wie ihr sprecht, es wäre schrecklich, wenn es so wäre. Ich glaube
auch nicht, daß ihr es aus Gewinnsucht tut, das wäre eures Amtes unwürdig. Ist
es dann aus Angst, es mit jemandem zu verderben, der über euch steht? Wenn es
so ist, kann ich euch nur bedauern. Aber ich bitte euch in Gottes Namen,
verbreitet nicht Angst über diesen Kreis hinaus, laßt nicht andere für eure
Erniedrigung bezahlen! Bestraft den Schuldigen nach Recht und Gesetz, wenn
nötig auch mit äußerster Strenge, aber sucht nicht Schuldige unter denen, die
es nicht sind. Ihr werdet sie zwingen, schuldig zu werden. Und gebraucht nicht
große Worte und gewaltige Gründe, um eure kleinen Rechnungen zu begleichen. Wir
haben mehr Verantwortung vor dem Volk und der Geschichte, als wir selbst
glauben. Ich bitte den Kadi und euch alle, mir nicht zu verargen, daß ich so
offen spreche. Ich achte euch und mich zu sehr, als daß ich
verschweigen könnte, was ich denke, oder anders reden, als ich denke.«
Als er sich setzte, trat Schweigen
ein.
O du ehrlicher Narr, dachte ich
erregt und wagte nicht, mich umzuschauen.
Während dieser Ansprache hatten sich
einzelne wütend erhoben, hatten mißbilligende und zornige Worte gerufen, aber
der Kadi hatte sie mit einer energischen Handbewegung zum Schweigen gebracht
und den Hafis Abdulah bis zum Ende angehört. Sicher war es ihm weder
gleichgültig noch recht, aber von seinem finsteren Gesicht war nichts abzulesen.
Warum hatte er ihn ausreden lassen?
War er wirklich so großzügig? Wollte er zeigen, daß jeder sagen konnte, was er
wollte? Oder wollte er, daß der unglückliche Mann alles preisgab?
Hatten sie mich eingeladen, weil sie
hofften, daß ich sagen würde, was man nicht durfte?
Mir fiel die Gesellschaft bei
Hadschi Duhotina ein. Hatte der Hafis Abdulah nicht dasselbe gesagt wie ich?
Und noch Schlimmeres. Vor Angst gefror mir das Mark in den Knochen, während
ich inmitten der unruhigen, beleidigten Menge zuhörte. Wäre nicht die
gebieterische Handbewegung des Kadis gewesen, dem Hafis wäre es ärger ergangen
als mir, und wir hätten seine alten Knochen auflesen können.
Ohne aufzustehen, beendete der Kadi
das Gespräch mit den Worten, daß trotz vereinzelter irriger Ansichten die
Versammlung hohes Bewußtsein gezeigt und seine Erwartungen gerechtfertigt
habe. Meinungsverschiedenheiten habe es nicht gegeben, und diese Einigkeit
würde uns zu noch größeren Anstrengungen für
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