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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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weiter und fand
keinen Ausweg: Unerträglich wäre mir sein entsetzter Blick gewesen, wenn ich es
ihm sagte.
    Wie würde ich es ihm erklären?
    »Es tut mir leid, sie haben mich
gezwungen.«
    Wenn wir aber nicht allein sein
würden, wenn ein Wächter dabei war, hätte ich das nicht sagen können, ich hätte
es nicht gewagt.
    »Es wäre das Beste für dich.«
    Aber er wollte nicht das Beste für
sich. Und sein Blick wäre schrecklicher gewesen als alles, was er beschämt und
betroffen hätte antworten können. Meinetwegen beschämt. Und selbst betroffen.
    Also auch du, der Dichter, der nur
für sich singt wie die Nachtigall? hätte sein verächtlicher Blick gesagt. Ich
hatte dich für einen Menschen gehalten. Hatte gedacht, daß du ein Herz im Leib
hast. Du bietest mir das Leben und die Schande. Da hätte ich mein Leben besser
verkaufen können. Sie sind großzügiger als du, sie bieten mir den Tod und die
Ehre. Sie bieten mir an, beim Volk in guter Erinnerung zu bleiben. Du bietest
mir an, daß das Volk ausspuckt, wenn es meinen Namen hört. Was würde aus mir,
wenn ich auf dich hörte? Auch du müßtest Angst vor mir haben. Ich könnte alles
werden, nur nichts Gutes. Ein Strolch, ein Räuber, ein Mörder, ein Henker. Wenn
ich mich selbst töten kann, kann ich auch andere umbringen. Wenn ich zulasse,
daß man mir das Rückgrat bricht, warum soll ich das eines anderen schonen? Was
würde mich hindern? Wenn ich keine Ehre und kein Gewissen hätte, wäre mir alles
erlaubt. Nein, ich nehme ihre Strafe an, sie ist ehrenvoller als dein Angebot.
Ich rechne mit dieser Möglichkeit, seit ich meinen Weg eingeschlagen habe.
    Wie konnte ich von ihm verlangen,
seine Idee zu verraten? Auch aus mir würde danach alles mögliche werden, nur
nichts Gutes.
    Ich hatte gedacht, daß alle Menschen
für sich lebten, was auch stimmte, aber dennoch stellten sich unlösbare Verbindungen
zwischen ihnen her. Unsere Wege kreuzten sich wie die Fäden in einem
Garnknäuel. Hätte ich mir je vorgestellt, daß ich eines fremden jungen Mannes
wegen so leiden müßte?
    Wenn ich ihn nicht verriet, richtete
ich mich zugrunde; wenn ich ihn zugrunde richtete, verriet ich mich selbst.
    Ich konnte weder das eine noch das
andere, und ein Drittes gab es nicht.
    Wenn mir schwer ums Herz war,
flüchtete ich in die Einsamkeit. Wenn es noch schwerer war, suchte ich die Nähe
guter Menschen.
    Ich trat in Mula Ibrahims Laden. Er
wollte eben zum Mittagessen gehen, die Gehilfen waren nicht anwesend. Dennoch
flüsterte ich, aus Gewohnheit und wegen der Dinge, die ich in der Moschee
gehört hatte.
    »Wen hat der Kadi gemeint, als er
sagte, daß jemand seine Pflicht vernachlässigt hat?«
    Ich fürchtete, daß er nicht
antworten würde, aber ich mußte die Frage stellen. Er antwortete trotzdem.
Vielleicht erschien ich ihm zu bedrückt.
    »Er meinte den Muselim. Die beiden
können sich nicht leiden. Er will ihm die Schuld zuschieben.«
    »Er hat
auch anderen gedroht.«
    »Angeblich ist die Ordnung in
Gefahr, und schuld ist der Muselim. Viele werden bezahlen. Zwei Fliegen mit
einem Streich.«
    »Warum drohen sie ständig? Haben die
Menschen nicht Angst genug?«
    »Je mehr
Angst, desto größer die Ordnung.«
    Nach seiner Angst zu urteilen, mußte
die Ordnung vollkommen sein. Und weiß Gott, auch nach meiner.
    »Gib mir einen Rat, Mula Ibrahim.
Sie wollen, daß ich mit Ramiz spreche. Damit er alles widerruft. Wenn er das
tut, würden sie ihn freilassen.«
    »Sprich auf
jeden Fall mit ihm.«
    »Er wird
ablehnen.«
    »Dann sagst
du ihnen, daß er abgelehnt hat.«
    »Wie soll
ich ihm in die Augen sehen?«
    »Wie immer. Sag ihm: Es ist meine Sache, dir den Vorschlag zu
machen, die Entscheidung liegt bei dir. Natürlich werden sie
ihn umbringen.«
    »Meinst
du?«
    »Sie haben
ihn zum Schreckgespenst gemacht. Wie können sie ihn
freilassen?«
    »Mula
Ibrahim, am liebsten würde ich an meinen Fluß zurückkehren.«
    »Auch dort
würden sie dich finden.«
    Überall
würden sie mich finden. Für mich gab es keine Rettung.
    Zu Hause fand ich Mahmut vor, er
hatte das ganze Geld ausgegeben und war zerknirscht wie zuvor.
    Tijana und ihm erzählte ich alles
sofort, fast noch auf der Schwelle, damit ich nicht zersprang.
    Sie reagierten ganz anders, als ich
erwartet hatte.
    »Wie könntest du den Mann so
beleidigen?« sagte Mahmut erbittert.
    Und Tijana:
»Er wird überleben, das ist das wichtigste.«
    Nach und nach wechselten sie
jedoch den Standort und änderten ihre Ansicht.
    Mahmut

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