Die Festung
Gesetz, und jede
Abweichung von Gottes Gesetz sei Sünde und Lästerung. Er verträte entschieden
die Gedankenfreiheit, ohne sie gäbe es keinen Fortschritt und kein Glück, aber
Gedankenfreiheit im Rahmen des Korans, denn Gedanken, die sich außerhalb des
Korans bewegten, seien nicht frei, sondern rückschrittlich. Jeder, der unter
Freiheit die Freiheit von Gottes Geboten verstünde, sündige schwer und sei
unser Feind. Das sei keine Freiheit, sondern schlimmste Sklaverei. Und die
sklavische Unterwerfung unter Dunkelmännertum und Satanswerk sei eine Sünde,
gegen die man in den heiligen Krieg ziehen müsse.
Ilijaz-Effendi sagte, er empfinde
Trauer und Scham, weil wir jenen, die es nicht verdienten, soviel Freiheit
ließen. Das sei wider jede Vernunft und würde
uns an den Rand des Abgrunds führen. Es sei unsere Pflicht, wachsam zu sein,
alles zu wissen und dem Übel zu wehren. Er erfülle diese Pflicht in seiner
Gemeinde, er sei wachsam, wisse, kämpfe. Die jungen Menschen seien auf Abwege
geraten, sie sängen vor der Moschee, während andere beteten, sprächen häßliche
Dinge, verachteten angesehene Leute, verspotteten die Heiligtümer. Er schelte
sie, beschäme sie, versuche sie auf den rechten Weg zurückzubringen, aber
allein könne er wenig ausrichten. Womit befasse sich eigentlich der Muselim,
womit die Wächter? Gehe sie das nichts an? Er werde nicht nachlassen, er werde
bis zum letzten Atemzug kämpfen, aber er bitte den Kadi, ihm zu helfen, wenn es
schon jene nicht täten, deren Aufgabe es sei.
Himzi-Effendi, der Stellvertreter,
erblickte den Sinn dieser Versammlung in der notwendigen Verschärfung des Kampfes
gegen den Feind. Als Richter seien ihm die Hände gebunden, wenn andere ihre
Pflicht vernachlässigten. Die Dinge müßten erst so offenbar werden wie im Fall
des erwähnten Ramiz, damit wir alle in Bewegung gerieten. Aber müsse man es so
weit kommen lassen? Sei nicht vorbeugen besser als heilen? Sei es nicht besser,
ruhig zu schlafen, als zu warten, daß das Übel sich noch verschlimmere? Wäre
Ramiz allein, könne man mit ihm schon fertig werden. Aber es gäbe diese jungen
Ramiz zu Hunderten, das müsse man offen sagen, die uns Knüppel vor die Füße
würfen und uns in unserer heiligen Aufgabe behinderten, Glauben und Reich zu
festigen. Und das in diesem Augenblick, da die Feinde an unseren Grenzen
aufmerksam beobachteten, was bei uns geschähe und nur auf die Gelegenheit
lauerten, uns anzugreifen. Diese Menschen seien offene Verbündete unserer
Feinde, und Verbündete unserer Feinde seien ebenfalls unsere Feinde, die man
nicht schonen dürfe. Weder sie noch jene, die sie beschützten.
Dann begannen sie sich an Schärfe,
Strenge und Angriffen auf immer mehr Schuldige zu überbieten. Keiner wollte um
einen Fußbreit zurückbleiben, und nicht zurückbleiben hieß strenger und härter
sein. Sie stöhnten, riefen, knurrten, zählten Verbrechen auf, forderten Strafen
und Ausrottung, besser, wir seien wenige, aber gute, als viele und verschie
denartige, besser, der Feind sei jenseits der Barrieren als in den eigenen
Reihen.
Alles glühte vor Eifer und Zorn.
Ramiz war vergessen, sein Urteil
stand schon im voraus fest.
Dann aber stand der weißbärtige
Hafis Abdulah Delalija auf, Šehagas bester Freund, dem ich immer mit Achtung
begegnet war, weil er ein freundliches Lächeln und ein gutes Wort für jedermann
hatte.
Würde auch er in dieses wütende
Geheul einstimmen? Hatte er nicht schweigen können? Fürchtete er, daß man ihn
der Freigeisterei beschuldigte, wenn er nichts sagte? War auch das Schweigen
verdächtig? Oder er wollte mit Worten seine Ruhe erkaufen. Denn etwas anderes
brauchte er nicht.
Mir wurde übel.
Anfangs redete er wie die anderen,
und alle taten, als hörten sie zu. Dann aber zog er andere Saiten auf, und mit
der schläfrigen Höflichkeit war es plötzlich vorbei. Mir wurden die Knie weich
vor Angst. War er verrückt?
Er sagte, er sei gegen alles, was
dieser Ramiz gesagt habe, denn er hasse Unordnung und Gewalt. Aber daß der
junge Mann so lange alles mögliche geredet habe, sei unser aller Schuld. Der
Kadi habe recht. Nur sage der Kadi nicht, warum wir schuld hätten. Weil es uns
gleichgültig sei, weil uns nichts berührte außer uns selbst, weil wir zu sehr
an unseren Vorteil und an die Güter dieser Welt dachten. Wir wunderten uns, daß
uns niemand etwas gesagt habe, daß die Leute ihn gedeckt hätten. »Ich aber,
seht ihr, wundere mich nicht. Warum sollten sie es uns
Weitere Kostenlose Bücher