Die fetten Jahre
ausbrechen würde. Er sagte, China solle einfach den Status quo beibehalten, sich noch zwanzig Jahre in Frieden und Stabilität weiter entwickeln, danach könne man weitersehen.
He Dongsheng konnte sich nicht vorstellen, wie ein demokratisches China nach der Herrschaft der Kommunistischen Partei aussehen sollte. Nicht ohne Spott sagte er: »Politische Reformen? So einfach ist das leider nicht. Was am Ende dabei rauskommen würde, wäre kein föderales System, wie ihr es euch vorstellt, keine Sozialdemokratie nach europäischem Vorbild oder eine liberale konstitutionelle Demokratie wie die der USA, sondern der Übergang in eine sino-faschistische Autokratie, eine Mischung aus dirigistischem Nationalismus, völkischem Populismus und chinesischem Kulturchauvinismus.«
»Faschisten seid ihr jetzt schon, wozu braucht es da noch einen Übergang?«, gab Xiaoxi zurück.
He Dongsheng ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen: »Dann sind wir meinetwegen Faschisten, aber das ist lediglich ein Vorgeschmack, ihr habt noch keine echte faschistische Gewaltherrschaft gekostet. Euch mangelt es ganz offensichtlich an Imaginationskraft für das Böse.« He Dongsheng musste an die faschistischen Karrieristen innerhalb der Partei denken. Wenn diese Leute ans Ruder kamen, dann konnte sich China – ja, die ganze Welt – warm anziehen. Er sah es als sein Pflicht an, zu verhindern, dass sie die Macht ergriffen.
Er wusste genau, dass die jetzige Regierung innerhalb der Partei Gegenspieler im linken wie im rechten Lager hatte, dass die größte Bedrohung jedoch von der extremen Rechten kam. Feuer, Eis und Gold war im Grunde eine Fortführung der marktwirtschaftlichen Reform- und Öffnungspolitik in neuem Gewand, womit man viele einflussreiche Kräfte verprellt und sich nicht wenig Feinde gemacht hatte. Alte wie neue Linke waren gegen die Landprivatisierung gewesen, viele staatliche Großunternehmen störten sich an der Öffnung von Branchen, in denen sie vormals Monopole besessen hatten, der Wegfall der Restriktionen hatte den Wettbewerb belebt, die Möglichkeiten für Klüngeleien zwischen Wirtschaft und Funktionären beschnitten und es Letzteren schwerer gemacht, sich zu bereichern. Darüber hinaus hatte sich die Regierung vorgenommen, gesetzlich die Offenlegung des Privatvermögens von Funktionären zu erlassen und so Differenzen zwischen Bezügen und tatsächlichem Vermögen zu untersuchen. In einer durch und durch korrupten Regierungspartei machte man sich so keine Freunde. Viele der Betroffenen waren daher entschlossen, sie mit vereinten Kräften zu Fall zu bringen.
Machthungrige Karrieristen sind immer auf der Suche nach den Schwachstellen der Machthabenden. Die größte Angriffsfläche, die die Regierung bot, war nichts Geringeres als der Bund mit Japan und die einstweilige Beilegung der Grenzkonflikte. Der Hass auf Japan war im Volk weit verbreitet und überspannte mehrere Generationen. Die plötzliche Verbrüderung mit dem Erzfeind – obgleich im Einklang mit den nationalen Kerninteressen – war für viele unerträglich. Die gemeinsame Erschließung der Grenzregionen konnte man leicht als schändliche Abgabe von Staatsgebiet auslegen. Die parteiinternen Karrieristen nahmen genau diese Punkte ins Visier. Sie wussten, dass man nur die nationalistische Stimmung anzufachen brauchte; wenn die Regierenden als das Ausland anbetende Kapitulationisten dastanden, denen man den Ausverkauf des Vaterlandes anlastete, dann waren ihre Tage gezählt; zumindest aber würde ihr Rückhalt in der Bevölkerung Schaden nehmen. Und wenn die rest-liche Welt den chinesischen Nationalismus aufbranden sah, würde sie das Land schnell als expansionistisches und aggressives Imperium wahrnehmen, als Beweis für die lange gepredigte »Chinesische Gefahr«. Sie würde sich dagegen rüsten und China keinen Glauben mehr schenken. Wenn die Regierung im In- und Ausland diskreditiert war, hatten die Aufwiegler erreicht, was sie wollten. Wenn das eine Weile so ging, fürchtete He Dongsheng, würden die Chinesen diesen sino-faschistischen Karrieristen anheimfallen.
Er bedauerte es sogar ein wenig, dass die Demokratiebefürworter verschwunden waren. Ohne sie als Zielscheibe richteten alte und neue Linke, Nationalisten, Kulturchauvinisten, Etatisten und die extreme Rechte ihre geballte anti-liberale Kraft direkt gegen die Regierung. Leider waren die als westlich orientiert geltenden liberalen Kräfte seit Ausbruch der weltweiten Wirtschaftseiszeit und dem
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