Die fetten Jahre
geht heute leider nicht. Aber ich komme gerne ein anderes Mal wieder. Wir unterhalten uns noch kurz, dann muss ich los.«
»Dann plaudert ihr mal«, sagte sie und verschwand wieder im Hinterzimmer.
Wei Guo sah mich mit festem Blick an. Er strahlte eine Autorität aus, wie man sie bei jungen Leuten äußerst selten findet.
Ich wollte herausfinden, warum Xiaoxi und ihr Sohn sich nichts mehr zu sagen hatten, also antwortete ich mit Bedacht: »Nichts geht über China, das sagen doch jetzt alle.« Dieser Satz klang wie von ihrem Sohn, hatte Xiaoxi gesagt.
»Da haben Sie recht, genauso ist es. Wie Ji Xianlin schon gesagt hat: Das einundzwanzigste Jahrhundert ist das Jahrhundert der Chinesen. Niemand kann uns aufhalten!«
»Und welche Rolle willst du im Chinesischen Jahrhundert spielen?«, wollte ich wissen.
Die meisten jungen Leute hätten bei dieser Frage wohl eher schüchtern reagiert. Nicht so Wei Guo: »Momentan studiere ich Jura an der PU. Nach dem Abschluss werde ich mich für die Aufnahme in den Staatsdienst bewerben.«
»Du willst Beamter werden?«
»Das Land und die Partei brauchen die hellsten Köpfe.«
Er wollte in die Propagandaabteilung, hatte Xiaoxi erwähnt. Ich fragte trotzdem: »Wei Guo, wenn du frei wählen könntest, für welchen Bereich würdest du dich entscheiden?«
»Die Zentrale Propagandaabteilung!«, sagte er ohne Umschweife, als hätte er auf diese Frage gewartet.
Mit solcher Offenheit hatte ich nicht gerechnet.
»Natürlich kann man sich das nicht einfach so aussuchen, aber jedenfalls ist das gegenwärtig mein höchstes Ziel«, fügte er hinzu.
»Warum gerade die Propagandaabteilung?«, fragte ich.
»Eine Nation, ein Volk, braucht mehr als rein materielle Macht, es muss auch geistig stark sein. Nur so stehen die Menschen geeint zusammen. Ökonomische und militärische Stärke sind unentbehrlich, aber Soft Power, weiche Macht, ist ebenso wichtig. Die Zentrale Propagandaabteilung ist deswegen von größter Bedeutung. Aber ich finde, sie macht ihre Sache noch nicht gut genug. Das lässt sich noch optimieren.«
»In welcher Hinsicht?«, fragte ich.
Auf diese Frage war er scheinbar bestens vorbereitet: »Es mangelt dort beispielsweise noch an Wissen über das Internet und seine User. Ebenso wenig versteht man, was die jungen Leute heutzutage bewegt. Ich kann helfen, das zu ändern. Mit meinem Jurastudium kann ich für jede Entscheidung der Abteilung eine solide gesetzliche Grundlage liefern, ganz im Sinne des rechtsstaatlichen Regierungsprinzips. Und natürlich bin ich als junger Mensch nicht frei von Romantik. Ich stelle es mir sehr romantisch vor, in der ZPA zu arbeiten.« Bei diesen Worten zeigte sich schließlich doch noch ein Hauch von jugendlicher Verschämtheit.
»Romantisch? Inwiefern denn?«
»Als Schriftsteller können Sie das sicher gut nachvollziehen. Romantik entsteht im Geist. Und die Zentrale Propagandaabteilung ist verantwortlich für das geistige Leben der gesamten Nation.«
Ich hatte keine Lust, weiter über die Propagandaabteilung zu reden, daher deutete ich auf die Bühne und fragte: »Habt ihr hier oft Konzerte?«
»Ja, jeden Abend. Ein paar junge Bands und Studenten aus der Gegend spielen hier. Das war meine Idee. Die unterschiedlichsten Gruppierungen kommen hierher, und das ist gut für meine Beobachtungen. Ich will verstehen, wie sie denken und was sie bewegt. Ohne Feldforschung keine Zielgruppenkenntnis, und ohne Zielgruppenkenntnis kein Mitspracherecht, nicht wahr?«
»Aber so ein Lokal zu führen, mit zum Teil sicher durchaus, nun ja, politisch fragwürdiger Kundschaft – bringt das nicht die Karriere in Gefahr?«, fragte ich scheinheilig.
Er hielt die Frage offensichtlich für naiv: »Da unterschätzen Sie die Partei und unsere Regierung aber! Sie haben alles unter Kontrolle. Dort weiß man über alles Bescheid.«
Ich hatte keine Lust mehr, diese Unterhaltung weiterzuführen: »Nett, sich mit dir zu unterhalten, Wei Guo. Es war sehr interessant, aber ich muss jetzt leider los.«
»Genießen Sie Ihre Zeit in Peking! Schreiben Sie über Chinas wahres Gesicht. Erinnern Sie die Brüder und Schwestern auf der Insel daran, dass man nicht einfach alles glauben darf, was die westlichen Medien berichten!«
Ich wollte ihn gerade bitten, mich bei seiner Großmutter zu entschuldigen, als Madame Song wieder hereinkam und rief: »Ach wie schade, Sie müssen schon gehen?«
»Ja, leider. Ich muss am anderen Ende der Stadt noch etwas erledigen. Wenn ich jetzt
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