Die Feuer von Córdoba
das. Oder hast du dich etwa nie gefragt, woher Pater Giacomo sein nahezu prophetisches Wissen hat? Hattest du noch nie Angst vor ihm? Und fragst du dich nicht, wie ein Mord an einem Menschen sich mit dem christlichen Glauben vereinbaren lässt?«
»Hört auf!«
»Nein, denn der Mord an Rashid, den du mit eigenen Augen angesehen hast, ist nicht der einzige, den er begangen hat. Er hat meinen Mann, deinen Vater Giuliano de Medici umgebracht . Er hat sogar seine eigene Schwester und seine Mutter vergiftet. Alles nur wegen des Elixiers. Es hat ihn süchtig gemacht . Süchtig nach Macht, nach Kontrolle. Und jetzt ist er wahnsinnig.«
»Hört endlich auf!«, schrie Stefano, und seine geballte Faust krachte auf das Holz der Bank nieder. »Ich glaube Euch kein Wort. Ihr lügt!«
»Ich lüge nicht«, entgegnete Anne und versuchte so ruhig zu bleiben, wie sie konnte. »Hast du dich denn nie gewundert, weshalb die Flasche mit dem ›Blut Christi‹ nicht leer wird?«
»Wir trinken nicht davon. Es ist zu kostbar und …«
»Unsinn«, schnitt sie ihm ärgerlich das Wort ab. »Die Flasche ist deshalb nie leer, weil er das Elixier der Ewigkeit jederzeit neu herstellen kann. Er kennt das Rezept. Er hat es schließlich eigenhändig mit seinem Freund Cosimo de Medici entschlüsselt.«
»Ihr lügt!«
»Stefano, wenn ich lügen würde, wärst du jetzt nicht hier. Du weißt, dass ich die Wahrheit sage. Du bist hier, weil Mutter Maddalena dir bereits Ähnliches erzählt hat, nicht wahr? Weil sie dir erzählt hat, dass Pater Giacomo nicht der ist, für den du ihn bisher gehalten hast.«
Er schüttelte heftig den Kopf, er keuchte, im Schein der Kerzen sah sie Schweißperlen wie Tautropfen auf seiner Stirn schimmern.
»Ich glaube Euch dennoch nicht. Ihr steckt doch mit ihr unter einer Decke. Mit dieser Hexe! Wahrscheinlich seid Ihr selbst eine abscheuliche Hexe. Ich sollte auf der Stelle die Diener holen, damit sie Euch in Ketten legen und ins Verlies werfen. Vielleicht kann Euch das Verhör die Wahrheit entlocken !«
Er starrte sie an, doch trotz seiner Worte hatten seine Augen nicht den fanatischen Glanz, den sie eigentlich erwartet hatte. Im Gegenteil, sie waren vor Angst weit aufgerissen. Aber wovor hatte er solche Angst? Vor Giacomo? Oder einfach nur davor, dass sich sein ganzes Leben als eine Lüge und eine Aneinanderreihung von Tod und Gewalt entpuppen würde?
»Hol sie, wenn du es für richtig hältst. Wirf mich ins Verlies , lass mich foltern und auf dem Scheiterhaufen verbrennen . Dadurch wirst du jedoch nicht die Wahrheit besiegen. Und diese Wahrheit kennst du bereits, Stefano. Ich sehe dir an, dass dich das, was Giacomo tut, anwidert. Dass du nicht mehr glaubst, mit ihm gemeinsam Gott zu dienen, dem Gott, der die Liebe und Barmherzigkeit selbst ist, dem Schöpfer aller Lebewesen.« Anne sah, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. Aber immer noch kämpften Gewissen und jahrzehntelange Erziehung gegeneinander. Was sollte sie Stefano noch sagen, um ihn zu überzeugen, um ihn auf ihre Seite zu ziehen? Da fiel ihr etwas ein. »Aber wenn du mir nicht glaubst, so wirst du vielleicht Pater Giacomo selbst glauben.«
Stefano sah sie skeptisch an. »Ihr meint, ich soll zu ihm gehen und ihn danach fragen?«
»Natürlich nicht. Aber vielleicht wirst du seiner eigenen Hand Glauben schenken. Er hat all die Jahre hindurch Tagebuch geführt. Ich weiß es, weil ich damals in Florenz sein Tagebuch gelesen habe. Such danach. Lies es und bilde dir dein eigenes Urteil.« Sie holte tief Luft. »Und wenn du dann – so wie ich und viele andere auch – davon überzeugt bist, dass Giacomo ein gefährlicher Mann ist, ein Mörder, dem man das Handwerk legen muss, so komm zu mir zurück und hilf mir dabei, diesen Wahnsinn zu beenden.«
Eine Weile herrschte Schweigen.
»Was habt Ihr vor?«, fragte Stefano schließlich mit heiserer Stimme. »Wollt Ihr ihn etwa umbringen?«
»Nein«, antwortete Anne, »aber wir müssen die Wirkung des Elixiers der Ewigkeit rückgängig machen. Es existiert ein Gegenmittel. Wenn Giacomo davon trinkt …«
»Wird er sterben, nicht wahr?«, vollendete Stefano den Satz. »Und worin besteht dann der Unterschied zu ihm, vorausgesetzt , dass er wirklich all die Untaten begangen hat, derer Ihr ihn beschuldigt? Gilt nicht vor Gott jedes Leben gleich viel, egal, ob es sich um einen Heiligen oder einen Mörder handelt? Und ist nicht Gott der oberste Richter, in dessen Hand allein wir die Bestrafung der Übeltäter
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