Die Feuer von Córdoba
»Schließlich seid Ihr … seid Ihr … Ihr seid immerhin meine Mutter.«
Anne war sprachlos. »Woher weißt du das?«, fragte sie schließlich, als sie sich von ihrer Überraschung erholt hatte.
»Sie hat es mir gesagt. Mutter Maddalena, meine ich. Sie sagte, ich würde Euch treffen. Sie erzählte mir, dass Ihr meine Mutter seid. Und sie sagte auch, dass …« Er brach ab, und in der Stille der Kirche war deutlich zu hören, wie er schluckte. »Sie sagte auch, dass ich Euch zuhören soll, weil Ihr mir … weil Ihr mir die Wahrheit über Pater Giacomo erzählen werdet.«
»Das alles hat Mutter Maddalena zu dir gesagt?« Anne schüttelte verwundert den Kopf. »Wann denn?«
»Sie hat mich vor einiger Zeit im Beichtstuhl aufgesucht und …« Er brach erneut ab und fuhr sich durch das kurze braune Haar. Anne hatte den Eindruck, dass ihm die Erinnerung an diese Begegnung unangenehm war. »Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Ich bin hier. Und ich möchte wissen, was Ihr mir erzählen wollt.«
Anne schwieg. Sie musste zuerst ihre Gedanken ordnen, nun, da dieses Gespräch so eine ganz andere Wendung nahm, als sie es erwartet hatte. Eigentlich hatte sie Stefano ganz behutsam Schritt für Schritt alles erklären wollen. Aber das war offenbar dank Mutter Maddalena nicht mehr nötig.
»Wie alt bist du?«, fragte sie.
Er schnaubte. »Seid Ihr nicht meine Mutter? Solltet Ihr es nicht am besten wissen?« Seine Stimme klang zynisch, und für einen Augenblick sah sie Giacomo de Pazzi vor sich. Das Herz wurde ihr schwer. Stefano hatte so viele Jahre unter seinem Einfluss gelebt, er war von ihm erzogen worden, sein Gift hatte so lange schon wirken können. War er wirklich noch zu retten? »Ich wurde 1478 geboren, bin also sechsundsechzig Jahre alt.«
»Sechsundsechzig, und doch siehst du aus, als wärst du ein Jüngling, kaum älter als zwanzig. Ebenso ist es mit Pater Giacomo , nicht wahr?«
»Und mit Euch nicht anders«, gab er trocken zurück. »Seit ich Euch in Jerusalem traf, habt Ihr Euch nicht verändert.«
»Ja, das ist richtig.« Sie runzelte die Stirn. Es war offenbar doch schwieriger, als sie gedacht hatte. Noch schien Pater Giacomos Einfluss auf Stefano zu mächtig zu sein. »Hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, wie sich diese scheinbar ewige Jugend erklären lässt?«
Sie hörte, wie Stefano den Atem einsog. Sein Körper spannte sich, als wollte er sich gegen einen Angriff wappnen.
»Ja, ich weiß, dass es auf Außenstehende seltsam wirken mag. Auch Mutter Maddalena hat davon angefangen. Aber Pater Giacomo hat es mir bereits vor vielen Jahren erklärt. Er ist im Besitz einer Flasche des heiligen Blutes unseres Herrn Jesus Christus, das von einem der Jünger unter dem Kreuz aufgefangen worden ist. Es ist eine besondere Gnade Gottes, ein Geschenk unseres Herrn, dass Er denen, die Er in Seiner unendlichen Güte auserwählt, von diesem Blut zu trinken, ein ebenso langes Leben gewährt wie einst Abraham. Und …«
»Und was hat Mutter Maddalena zu dieser Geschichte gesagt ?«
Er zuckte unwillig mit den Schultern. »Sie faselte etwas von einem Trank, einem Zauber oder etwas Ähnlichem, und …«
»Sie hatte Recht, Stefano«, unterbrach sie ihn abermals. »Das, was Pater Giacomo Blut Christi nennt, ist in Wahrheit ein Gebräu, das Elixier der Ewigkeit genannt wird. Es verleiht in der Tat ein sehr langes Leben. Aber vor allem ermöglicht es jedem, der davon trinkt, in die Vergangenheit zurückzukehren . Ein unschätzbarer Vorteil für jemanden, der gern die Kontrolle über die Geschicke der Welt in eigenen Händen hält – so wie Giacomo. Von dieser Eigenschaft des Elixiers hat er im Laufe der Jahre immer und immer wieder Gebrauch gemacht. Er hat sich selbst in der Vergangenheit besucht und sich Ratschläge gegeben, wie er sich verhalten soll, wenn dieses oder jenes Ereignis eintritt. Er versucht dir weiszumachen , dass er dem Herrn die Wege ebnet, aber tatsächlich manipuliert er den Lauf des Schicksals nach seinem eigenen Willen. Wobei ich mir allerdings nicht sicher bin, dass er selbst den Unterschied noch begreift. Denn leider ist es so, dass jeder, der zu oft von diesem Elixier trinkt, irgendwann den Verstand verliert und wahnsinnig wird.«
Stefano kniete steif neben Anne auf der schmalen Bank und rührte sich nicht.
»Das ist nicht wahr«, widersprach er schließlich dumpf. »Ihr spielt mit mir, Ihr wollt …«
»Die Wahrheit ist kein Spiel, Stefano. Und tief in deinem Herzen weißt du
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