Die Feuer von Córdoba
legen sollten?«
Das sagt der Richtige, dachte Anne und fragte sich, bei wie vielen Folterungen Stefano wohl im Laufe seines Lebens schon zugesehen hatte.
»Du hast Recht«, sagte sie langsam. »Mit jedem deiner Worte hast du Recht. Allerdings hat Giacomo mit dem Elixier der Ewigkeit bereits den normalen Lauf der Natur erheblich verändert. Er kann nicht sterben, Stefano, weder durch Alter noch durch Krankheit. Lediglich ein Würgeseil oder ein Dolch könnte seinem Leben ein Ende bereiten. Und das wäre – da stimme ich dir zu – in der Tat ein Mord. Das Gegenmittel jedoch verhilft der Natur wieder zu ihrem Recht. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.« Sie machte eine Pause. Er starrte die Statue der Muttergottes an, als könnte sie ihm einen Rat geben. »Ich verlange nicht, dass du dich jetzt entscheidest , Stefano. Aber denk bitte darüber nach. Du hast ein gutes Herz. Und ich bin sicher, es gibt andere Aufgaben, mit denen du Gott besser dienen könntest als an der Seite eines Inquisitors. Ich …« Sie zögerte einen Moment. »Ich bin sicher , Stefano, dass eines Tages die Kirche ihren schrecklichen Irrtum einsehen und die Inquisition mitsamt ihren Foltermethoden und Scheiterhaufen verurteilen wird.«
Stefano wandte ihr den Blick zu. Er machte einen nachdenklichen , verwirrten Eindruck.
»Ihr habt Recht, ich muss darüber nachdenken.«
Anne erhob sich. Plötzlich hatte sie das Bedürfnis, ihm einen Kuss zu geben. Er war schließlich ihr Sohn, sie hatte ein Recht dazu. Aber sie tat es nicht. Stattdessen legte sie ihm kurz eine Hand auf den Arm.
»Bitte, denk darüber nach«, sagte sie noch mal. Dann ging sie und ließ ihn allein in der Kathedrale zurück.
IX
Die Zeiten ändern sich
Stefano stand am Fenster des kleinen Schreibzimmers und sah in den Garten hinunter. Verglichen mit dem Garten des Bischofs war es ein kümmerliches Anwesen. Ein paar Rosenbüsche kämpften gemeinsam mit Ginster, einigen Blumen und wild wucherndem Unkraut um die paar Tropfen Wasser, die man ihnen in unregelmäßigen Abständen zubilligte. Aber der Inquisitor und seine Diener hatten so viel zu tun, es gab so viele Verhaftungen, Verhöre, Prozesse, dass der Garten des Alcázar darüber oft genug in Vergessenheit geriet.
Dabei könnte er so schön sein, dachte Stefano. Hier könnten Orangenbäume wachsen, Blumenbeete und Wasserspiele könnten herrlich anzusehen sein. Es könnte …
Er rieb sich die Augen. Sie brannten, als würde er immer noch im Rauch von Mutter Maddalenas Scheiterhaufen stehen , dabei war es schon drei Tage her. Nahezu im letzten Augenblick hatte Pater Giacomo doch noch ein Geständnis vorweisen können. Wie er das bekommen hatte? Das würde wohl für immer ein Rätsel bleiben. Pater Giacomo selbst behauptete, dass Mutter Maddalena ihm, als sie allein in ihrem Verlies waren, im Angesicht der Bibel und des Kreuzes die Wahrheit anvertraut und sich selbst der Hexerei bezichtigt habe. Aber Stefano hatte Zweifel. Dem Kaiser war daraufhin nichts anderes übrig geblieben, als dem Todesurteil der Inquisition zuzustimmen. Pater Giacomo hatte darauf bestanden, dass es unverzüglich vollstreckt wurde. Noch nie waren die Holzscheite so schnell zusammengetragen worden , noch nie hatte man den Marktplatz so schnell hergerichtet . Bereits am folgenden Tag war Mutter Maddalena zusammen mit ihren Nonnen auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Ihr schönes, gütiges Gesicht war grässlich entstellt gewesen, an ihren Mundwinkeln und ihrem Kinn hatte Blut geklebt. Ihr Körper war schlaff, als wäre jeder ihrer Knochen zerbrochen. Der Henkersknecht musste die Stricke an dem Pfahl sehr fest ziehen, damit sie aufrecht stand und nicht immer wieder in sich zusammensackte. Allein ihre Augen schienen noch zu leben. Stefanos Nackenhaare sträubten sich bei dem Gedanken an den Blick, mit dem sie ihn bedacht hatte. Da war keine Wut, kein Hass, nicht einmal Angst gewesen. Nur Mitleid und Liebe. Grenzenlose , bedingungslose Liebe. Sie hatte geweint, aber nicht um sich, sondern um die anderen Frauen, die mit ihr zusammen verbrannt werden sollten und die vor Angst und Schmerzen laut jammerten und wehklagten und Gott um Hilfe und Rettung anriefen. Und auch um ihn. Stefano war sicher, dass sie um ihn geweint hatte. Ihm war übel geworden , und er hätte sich bestimmt übergeben, wenn er an diesem Tag überhaupt in der Lage gewesen wäre, etwas zu essen. Dann hatten die Henkersknechte die Holzstöße mit Fackeln in Brand gesteckt. Flammen waren
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