Die Feuer von Córdoba
mir das nicht immer gelingt. Es gibt keinen Grund, ausgerechnet heute mit dieser Gewohnheit aufzuhören.« Er klopfte Anselmo auf die Schulter. »Gute Nacht, mein Freund.«
Anselmo blieb am Tisch sitzen und starrte in das Kaminfeuer, während Cosimos Schritte die Treppenstufen knarren ließen und schließlich eine Tür im oberen Stockwerk ins Schloss fiel. Er hätte jetzt nicht ins Bett gehen können. Niemals. Zu viel gab es zu bedenken, zu viele Erinnerungen steckten in diesem Haus. Für Anne mochten sie nur Geschichten sein, für ihn waren diese Erinnerungen lebendig: Giacomo, der in seinem Wahn als Inquisitor fürchterlich in dieser Stadt gewütet hatte. Die Angst und das Misstrauen der Menschen. Und Teresa. Seine kleine, schöne, liebliche Teresa. Was würde jetzt mit ihr geschehen? Würde sie vor Giacomos Häschern fliehen können? Oder würde ihr das gleiche Schicksal wiederfahren wie ihrer ganzen Familie und wie Mutter Maddalena, die nach qualvoller Folter auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden waren? Was würde aus ihr werden? Wie konnte Anne das Schicksal dieser Menschen gleichgültig sein? Woher nahm sie das Recht, sich über den Lauf der Geschichte zu erheben? Wusste sie überhaupt, was ihre Weigerung für Konsequenzen nach sich zog? Diese egoistische, dumme …
Anselmo stand auf und warf einen weiteren Scheit in das Feuer, und wie die Flammen im Kamin loderte heiße Wut in ihm empor. Am liebsten wäre er sofort zu Anne gegangen, um ihr zu sagen, was er von ihr hielt, um es ihr ins Gesicht zu schreien, sie zu schütteln. Er ging die Treppe hinauf in sein Zimmer, zündete eine Kerze an und betrachtete den vertrauten Raum – das Bett, die Kleidertruhe, den Kamin, über dem in schwarzer Farbe und in verschnörkelten Buchstaben ein Spruch gemalt war. Hoy no se fia, manana si – wenn du heute keine Hoffnung hast, morgen bestimmt. Lächerlich. Wenn Anne das Elixier nicht trank, würde es keine Hoffnung mehr geben, weder morgen noch an einem anderen Tag. Aber die Frage war …
Die Frage war, ob er sich so demütig in sein Schicksal fügen wollte wie Cosimo. Er biss die Zähne zusammen. Mochte Cosimo Anne schonen, mochte er sie verstehen, er, Anselmo, konnte es nicht. Zu viel hing von dieser Frau ab, als dass er bereit gewesen wäre, das Feld kampflos zu räumen. Und wenn er sie nicht überzeugen konnte und sie sich immer noch weigerte, die ihr zugedachte Aufgabe zu übernehmen, so sollte sie wissen, was es für andere bedeutete. Vielleicht würde sie dann eines Tages wenigstens ihr Gewissen plagen.
Anselmo trat auf den Flur und ging zum Gästezimmer. Behutsam öffnete er die Tür. Anne lag in ihrem Bett und schlief. Er hörte ihre gleichmäßigen, tiefen Atmzüge. Sie konnte schlafen, unbeschwert von Schuld oder den Schreien der gefolterten und unter entsetzlichen Qualen sterbenden Menschen in Córdoba. Aber nicht mehr lange. Er würde für ihr Erwachen sorgen.
Er stürmte zu dem Bett und zog die Vorhänge so heftig auf, dass eine Stange des Baldachins aus ihrer Verankerung gerissen wurde und mit lautem Scheppern zu Boden fiel. Anne fuhr aus dem Schlaf auf, saß kerzengerade in ihrem Bett und starrte ihn an, als wäre er ein Gespenst. Der Mond schien durch das Fenster, und vielleicht sah er im bleichen Licht sogar wirklich aus wie ein Geist. Mochte es so sein. Er war ein Geist, ein rächender Geist aus der Vergangenheit. Und er würde dafür sorgen, dass Anne nicht ungeschoren davonkam.
»Anselmo?«, fragte sie mit deutlich zitternder, unsicherer Stimme. »Was wollen Sie hier mitten in der Nacht? Ist etwas passiert?«
»Ja, so kann man es nennen«, antwortete Anselmo grimmig. »Cosimo hat mir erzählt, dass Sie sich entschieden haben, das Elixier der Ewigkeit nicht mehr zu trinken.«
»Das ist richtig«, sagte Anne und strich ihre Bettdecke glatt. Sie wirkte erleichtert, als hätte sie eigentlich erwartet, dass er über sie herfallen würde. »Mein Entschluss steht fest. Das Risiko ist mir einfach zu groß.«
Sie sah so selbstgefällig, so von sich überzeugt aus, dass Anselmo vor Zorn zu zittern begann. Er zitterte so stark, dass er Mühe hatte, die Worte klar hervorzubringen.
»Risiko?« Er lachte. Und selbst in seinen eigenen Ohren klang dieses Lachen eher wie das Bellen eines wütenden Hofhunds. »Sie kennen die Bedeutung dieses Wortes gar nicht. Aber jetzt erzähle ich Ihnen von einem Risiko. Wir haben Sie 1544 in diesem Haus wiedergetroffen, Anne. Sie sind wieder in die Vergangenheit
Weitere Kostenlose Bücher