Die Feuer von Córdoba
gereist, um uns das Pergament zu bringen, das Sie in Jerusalem gefunden haben. Jenes Pergament mit dem Rezept für das Drachenöl, dem einzigen Mittel, mit dem Giacomo de Pazzi noch zu stoppen war!«
Sie holte geräuschvoll Luft. »Das mag sein, Anselmo, aber trotzdem bin ich nicht …«
Ihre freundliche, nachsichtige Stimme brachte sein Blut zum Kochen. »Sie haben keine andere Wahl!«, rief er zornig. »Ihnen, und nur Ihnen allein ist es damals gelungen, dafür zu sorgen, dass ihm das Drachenöl unauffällig unter das Essen gemischt wurde. Giacomo ist gestorben. Und Stefano ist …«
Anne schloss die Augen und presste die Hände auf die Ohren.
»Hören Sie auf, Anselmo, hören Sie endlich auf!«, schrie sie. »Ich will das alles nicht hören! Ich habe mich entschieden, und damit …«
»So, Sie wollen das also nicht hören?« Anselmo kniete sich neben ihr auf das Bett, packte ihre Handgelenke und zog ihr die Hände gewaltsam von den Ohren weg. »Ich bin aber noch lange nicht fertig. Sie sollten nämlich noch wissen, dass Giacomo de Pazzi zu jener Zeit Inquisitor hier in Córdoba war. Vielleicht interessiert es Sie auch, dass er bis zu seinem Tod am 17. Juni 1544 mindestens fünfhundert Menschen auf dem Scheiterhaufen brennen ließ.« Anne schrie auf, sie wehrte sich, doch Anselmo sprach unbarmherzig weiter. »Fünfhundert Menschen. Können Sie sich vorstellen, wie viele es noch gewesen wären, wenn ihn das Drachenöl nicht gestoppt hätte? Seien wir mal wohlwollend und gehen wir nur von zweihundert aus. Zweihundert Männer und Frauen, die Giacomo de Pazzi im Verlauf seiner Karriere noch umgebracht hätte. Aber was sind schon zweihundert Menschen, wenn Anne Niemeyer aus Hamburg um ihre Sicherheit besorgt ist, nicht wahr? Nun, Anne, der Tod dieser zweihundert Männer und Frauen hätte Konsequenzen gehabt, weit reichende Konsequenzen. Kinder wären nicht geboren worden, Enkelkinder wären nie gezeugt worden, Urenkel hätten niemals das Licht der Welt erblickt. Können Sie sich vorstellen, wie viele Menschen das im Verlauf von Jahrhunderten betrifft? Können Sie das begreifen?« Er schüttelte sie. Er war so wütend, dass er sie am liebsten geohrfeigt hätte. »Es sind Generationen von Menschen, die niemals existiert hätten. Aber was interessiert es Sie, ob möglicherweise am Ende einer dieser Generationen Felix Mendelssohn, Albert Einstein, Pablo Picasso oder Mutter Teresa stehen? Was geht es Sie an, dass die Vergangenheit sich ändern wird, wenn Sie das Elixier der Ewigkeit nicht trinken? Was kümmert es Sie, dass sich dadurch auch die Gegenwart ändern wird?« Er ließ sie los, und Anne fiel in ihre Kissen zurück. »Was ist daran schon wichtig. Sie sind schließlich eine moderne, emanzipierte Frau. An das Wohl anderer zu denken ist ineffektiv. Opfer zu bringen ist antiquiert. Das ist höchstens etwas für altmodische Narren wie mich, verstaubte Dinosaurier aus einer längst vergangenen Epoche. In Ihrem Leben ist kein Platz für diesen sentimentalen Quatsch. Hauptsache, Ihnen geht es gut. Soll der Rest der Welt doch zum Teufel gehen.«
Anselmo stand auf, verließ den Raum und warf die Tür hinter sich zu. Selbst auf dem Flur hörte er noch Annes lautes Schluchzen, aber er hatte kein Mitleid.
Wie gerädert erwachte Anselmo aus einem kurzen, von wilden Träumen unterbrochenen Schlaf. Dem Licht nach zu urteilen, das durch die Ritzen der Fensterläden fiel, war es noch früh am Morgen. Normalerweise hätte er sich noch einmal im Bett auf die andere Seite gedreht und wäre wieder eingeschlafen. Er und Cosimo standen selten vor zehn Uhr morgens auf. Doch heute würde er nicht mehr einschlafen können, ganz gleich, was er auch versuchen würde.
Er schwang sich aus dem Bett, zog sich an und warf dem Spruch über dem Kamin einen wütenden Blick zu. Hoffnung. Es gab keine Hoffnung mehr auf dieser Welt. Es war zu Ende, aus, vorbei.
Anselmo ging die Treppe hinunter in die Küche. An der Schwelle blieb er wie angewurzelt stehen. Eigentlich hatte er erwartet, dass Cosimo für die kommenden Tage in schwere Depressionen versinken und sein Zimmer nicht verlassen würde. Aber stattdessen war er bereits wach. Und nicht nur das. Er kümmerte sich sogar um das Frühstück. Ein Korb mit Brot stand auf dem Küchentisch, das Feuer im Herd brannte, und in einer Pfanne brutzelten Eier und Speck. Das war in den letzten fünfhundert Jahren nicht vorgekommen.
»Guten Morgen, Anselmo«, sagte Cosimo, ohne sich umzudrehen. »Deck
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