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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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von Mehmet Hasan gefallen war, jenen zurückhaltenden, schweigsamen Gefangenen, der im äußersten, kalten Winkel der Giardini ein einsames, abgeschiedenes Leben führte. Es war am Morgen passiert, während der Visite von Dottor Dalessi. Der Arzt hatte sich besonders eingehend mit dem Türken beschäftigt, um seinen Schmerz in den Schultergelenken zu lindern, der vom Reißen der Folter herrührte. Denn im Grunde hatte Dalessi dieser am Strick hängende Alte zutiefst leidgetan. Darum hatte er eine seiner Arzneien für ihn zubereitet, eine Mischung aus Leinöl, Lärchenharz und Rosmarin, die er jetzt schon zum zweiten Mal für die Dauer einer Sanduhr auf Mehmets Schultern verrieb. Da der Balsam warm aufgetragen werden musste, hatte Dalessi Gabriele gebeten, eine brennende Kerze unter das Töpfchen zu halten. Dadurch war der Junge in die Nähe des Türken gekommen und hatte sein Gesicht sehen können. Erst war es nur ein Gefühl, ein flüchtiger Eindruck der Vertrautheit, dem Gabriele kein Gewicht beigemessen hatte, auch weil der Doktor ein paar Scherze gemacht hatte, um ihm ein Lächeln zu entlocken. Doch als Mehmet sich ins Licht gedreht und ihn erneut angeschaut hatte, war das Gefühl zur Gewissheit geworden. Da hatte der Gedanke, diesen Mann schon einmal gesehen zu haben, sich in seinem Kopf festgesetzt und war den ganzen Tag nicht mehr verschwunden. Doch wo um alles in der Welt mochte er einem türkischen Teppichhändler begegnetsein? Mögliche Orte gab es viele, vielleicht an der Riva degli Schiavoni, beim Ausladen einer Handelsgaleere. Doch so weit er auch zurückdachte, er erinnerte sich nicht, jemals Teppiche getragen zu haben. Dann vielleicht auf einem Markt oder in der Osteria?
    Ein Spiel mit Blicken hatte begonnen, zunächst wenige flüchtige Blicke, verstohlen, jäh und schlecht verborgen, dann immer häufiger und offener. Die Beharrlichkeit seiner Blicke hatte bewirkt, dass sie von der anderen Seite erwidert wurden. Um die Mittagszeit war es Gabriele während eines solchen Blickwechsels sogar vorgekommen, als antworte der Türke mit einem Lächeln. Mit diesem Lächeln und seiner Absichtlichkeit wuchs Gabrieles Gewissheit, diesen Mann schon einmal gesehen zu haben, und er kam noch einen Schritt weiter, als diese Erinnerung sich mit einem traurigen Ereignis verband. Denn unwillkürlich fiel ihm die Explosion der Celestia ein, und ihm war, als erlebte er noch einmal deren furchtbare Gewalt. Da hatte er das Bild des Mannes urplötzlich klar vor Augen, und vor Aufregung, dass er ihn wiedererkannt hatte, kippte er rücklings von der Bank. Er wollte schreien vor Staunen oder vor Entsetzen, doch der Aufprall mit dem Rücken gegen die kalte Wand ließ ihn nach Luft schnappen und erstickte seinen Schrei. Ja, wie ungewöhnlich und unmöglich es auch scheinen mochte, dieser Türke war der alte Pilger auf dem Weg ins Heilige Land, der Gabriele bezahlt hatte, damit er über die Mauer des Klosters der Celestia stieg und Botschaften hin- und herbrachte. Zwar waren die Haare länger, auch der Bart, er war abgemagert, und die Falten waren in seinem Gesicht tiefer. Doch er war es, kein Zweifel. Gabriele musste ihn sich nur in dem armseligen Gewand mit Kapuze vorstellen, um erneut das listige Funkeln in seinen Augen zu sehen, wenn er lächelte. Nachdem er nun Gewissheit erlangt hatte, begann er über die Sache nachzudenken und einen Grund für diese unglaubliche Verwandlung zu suchen. Als er ihn nicht fand, zweifelte er wieder an seiner Gewissheit. Ach was, von wegen Pilger und Christ, dieser Mann war ein Türke, ein schmutziger, erbärmlicher türkischer Händler, der in Ungnade gefallen war wie Gabriele. Der Junge hatte sich gerade in dieser Überzeugung eingerichtet, da blickte Mehmet ihn wieder an und schien ihm abermals zuzulächeln, als würde er ihn gleich ansprechen oder hätte den brennenden Wunsch, es zu tun. Wieder packte ihn der Zweifel, bewog ihn zur Sinnesänderung, ja, dies war der Mann, den er getroffen hatte, und mit sich selbst grollend, weil er es nicht über sich brachte, aufzustehen und zu ihm zu gehen, um das Problem mit einer unschuldigen Frage zu lösen, drehte Gabriele sich zur anderen Seite und versuchte, ihn nicht mehr anzusehen.
    So war es bis zum Abend weitergegangen, auch noch während des fröhlichen Gelages, bis die Zellengenossen in den tiefen Schlaf der Betrunkenen gefallen waren. Während alle ausgestreckt auf Strohmatratzen oder den Bohlen des Fußbodens schnarchten, tat Hasan das, was

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