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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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Gabriele erwartet hatte: Er gab ihm ein Zeichen, näher zu kommen. Ohne lange zu überlegen, ohne etwas anderes zu wollen als Klarheit, ging Gabriele zu ihm.
    Der Türke lächelte ihn an, wegen der Schmerzen konnte er sich nicht bewegen, aber er zeigte Gabriele eine kleine hölzerne Schachtel auf dem Bord.
    » Onu alabilirsin «, sagte er mit kaum vernehmlicher Stimme.
    Das ist seine Stimme, dachte Gabriele, er will, dass ich die Schachtel nehme. Er nahm den Gegenstand vorsichtig mit beiden Händen und gab ihn dem Alten. Mehmet öffnete den Deckel, zog ein winziges Ding heraus und reichte es Gabriele. Es war ein Schmetterling mit ausgebreiteten Flügeln.
    » Ş eker , Ş eker !« Der Alte bedeutete ihm mit einem Zeichen, das Stück zu essen.
    Gabriele sah es sich genauer an: Es war aus Zucker, ein perfekter, hübscher Schmetterling aus Rohrzucker. Der Junge fand es schade, so etwas Schönes zu essen, und schüttelte den Kopf.Mehmet lächelte, holte etwas aus der Schachtel, was wie eine Sonnenblume aussah, und steckte es sich in den Mund. Beim Kauen erhellte sich sein Gesicht vor Begeisterung.
    » Hadiye bu Ş ekeri «, forderte er den Jungen erneut auf.
    Gabriele brachte das Zuckerstück an seine Lippen und leckte mit der Zungenspitze daran. Es war sehr süß, schmolz sofort und berauschte ihn. Schon bot der alte Türke ihm den Kopf eines Pferdes an: » At. «
    Gabriele kannte dieses Wort, weil sein Vater ihm oft von der Schönheit der türkischen Pferde erzählt hatte. »Pferd«, wiederholte er, nahm den kleinen Kopf aus Zucker und ließ ihn sich genüsslich langsam auf der Zunge zergehen. Er spürte seine Kräfte und Lebensfreude zurückkehren.
    Dann labten sie sich gemeinsam an dem Zuckerkonfekt, das schon bald zur Neige ging. Es blieben ein letzter Stern und eine Frage.
    Der Alte reichte Gabriele das Zuckerstückchen, doch der zögerte, es zu nehmen. Er blickte umher, um sicherzugehen, dass alle schliefen, und beugte sich zu dem Mann vor. »Ich weiß, wer Ihr seid«, flüsterte er ihm mit verschwörerischer Miene zu.
    Der Alte runzelte die Stirn, lächelte ihn an und bedeutete ihm, er solle den Zuckerstern nehmen: » Yildiz .«
    Gabriele nahm ihn, legte ihn sich auf die Zunge und schloss die Augen vor Wonne. Als er sie wieder öffnete, versuchte er es noch einmal: »Warum redet Ihr so mit mir? Warum spielt Ihr einen Türken?«
    Gabriele wartete auf eine Antwort, doch als Erwiderung bekam er nur ein Lächeln, und wieder erfüllte ihn die Unsicherheit, ob er sich geirrt hatte.
    In diesem Moment wurde der Schlüssel in das Schloss des Riegels gesteckt und begann sich zu drehen. Das Licht einer Fackel erhellte die Giardini, und einer der Gefangenen öffnete ein Auge, während ein anderer, jäh aus dem Schlaf gerissen, sich aufrichtete. Begleitet von einem Wächter stürmten zwei Fanti derZehn, jeder mit einer Büchse auf dem Rücken, durch die große Zelle direkt auf Mehmet zu.
    »Aus dem Weg, Junge!«, befahl einer der beiden, und Gabriele wich erschrocken auf allen vieren, wie ein Krebs rückwärts über den Boden kriechend, zurück. Die Fanti packten den Alten unter den Achseln und zogen ihn hoch, was ihn vor Schmerz aufschreien ließ. Ohne ein Wort zu sagen, schleiften sie ihn hinaus. Die Tür wurde wieder geschlossen, und in den Giardini blieb nichts zurück als der Rauchgeruch der Fackel und die Verwunderung all jener, die aufgewacht waren.

82
    »Wo mögen meine Hühner bloß hingelaufen sein, Mutter?«
    Der Auftritt der Betía war der Moment, auf den das Publikum gewartet hatte, und sie wurde mit rauschendem Applaus und Lachsalven empfangen. Die Hauptfigur der Komödie war rückwärts aus der Tür eines Hauses getreten, gebückt, mit wehendem Rock. Sie rief nach ihren Hühnern, ohne zu bemerken, dass ihr Nachbar Menato auf ihren breiten Hintern starrte.
    Sofia, die in der ersten Loge auf der Seite der Vorbühne saß, die Arme auf die hölzerne Brüstung gestützt, lachte schallend. Sie lachte weiter, bis ihr die Tränen kamen, als Betía sich umdrehte und sich als verkleideter männlicher Schauspieler entpuppte.
    Präzise wie eine zuschnappende Mausefalle rief Betía mit jedem ihrer Worte unbändige Heiterkeit beim Publikum hervor, deren Wellen auch bei den Damen neben Sofia und den jungen Edelmännern neben Luca und Andrea die schwachen Dämme des Anstands brechen ließen. Letztere bildeten in dem Grüppchen der Loge und in der ganzen begeisterten Zuschauermenge die eigentliche Anomalie, denn ihre Mienen

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