Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
Vom Netzwerk:
setzen und auf den Tag zu warten. Er tat es nicht, um nicht noch mehr zu leiden.
    Er dachte an Alvise, den Älteren, der von März bis Oktober immer auf See war. Er war Admiral der familieneigenen Galeeren, die für die muda fuhren. Beladen mit Handelswaren, segelten die Schiffe die Adria hinauf, sich nah an der Küste zwischen den Tremitischen Inseln und Gargano haltend, denn im Osten, um das Gebiet der freien Festung Senj in Kroatien, dem Herrschaftsbereich der Habsburger, hatten die Uskoken-Piraten ihre Kaperfahrten wieder aufgenommen. Die venezianischen Kriegsgaleeren, die in den Golf geschickt wurden, um den Handelsschiffen Geleit zu geben, waren zu wenige, gemessen an der Anzahl der Flotten, die um diese Jahreszeit zurückkehrten, und bei diesem Gedanken fühlte er die Angst wieder in seiner Brust aufsteigen.
    Pietro setzte sich auf, denn wenn er im Bett liegen blieb, würde die Qual zu einer Furie aus wirr übereinandergehäuften, bohrenden, verqueren und furchteinflößenden Gedankenwerden. Seine Fußsohlen trafen fast gleichzeitig auf den kalten Boden, doch er beschloss, auf die mit feinem Gold bestickten Pantoffeln, ein Geschenk des Wesirs Sokollu Mehmet, zu verzichten, denn dieses Gold war fremd und noch kälter als der Marmorterrazzo. Stattdessen holte er den Nachttopf aus getriebenem Kupfer unter dem Bett hervor, hob sein Hemd und befreite sich von dem am Abend getrunkenen Wein, einem likörsüßen Weißen aus den Weinbergen von Otranto, der ihn erhitzte und in seiner Blase brannte.
    Den lauwarmen Nachttopf in der Hand, ging er anschließend langsam an eines der drei Fenster, stieß den Fensterflügel auf, und bevor er den Inhalt des Topfes in eines der beiden Abflusslöcher im Fensterbrett schüttete, beugte er sich vor und spähte auf dem Rio nach vorbeifahrenden Booten. Als er sich zur Seite des Ponte della Paglia wandte, bemerkte er die etwa auf halber Höhe des Palazzo ankernde Gondel, dort, wo es einen winzigen Durchgang zur Treppe der Pozzi gab. Seit der Explosion des Arsenale gehörte zu den vom Rat der Zehn erlassenen außergewöhnlichen Sicherheitsmaßnahmen ein striktes Anlegeverbot im Rio di Palazzo vom Ponte della Paglia bis zum Ponte della Canonica, wovon nur das kurze Anlegen der Boote ausgenommen war, die bei Tagesanbruch Obst, Gemüse, Fleisch und Getränke für die Küchen des Dogen im Erdgeschoss brachten. Trotz des Erlasses war dies nicht das erste Mal, dass Pietro Boote an der Fassade sah, darum achtete er nicht besonders darauf. Er kippte den Nachttopf um und bildete sich ein, den fröhlich gurgelnden Aufprall einer Flüssigkeit auf eine andere hören zu können, als wäre sein Gehörsinn noch so gut wie in seiner Jugend. Während dieses vergeblichen Wartens auf das Geräusch sah er, wie der dunkle Umriss der Gondel sich von der Anlegestelle löste.
    Pietro Loredan erstarrte vor Staunen: Langsam glitt die Gondel bis unter sein Fenster, dann bewegte sie sich auf die Mitte des Rio zu und richtete den Bug auf die Fassade. Ein Manöver, daser gut kannte, es diente dazu, das Boot um seine eigene Achse zu drehen, so dass Bug und Heck gleichzeitig die Ufer streiften, und es in der richtigen Position vor die Wassertür der Küchen zu bringen. Tatsächlich sah er wenig später durch die Abflusslöcher seines Fensterbretts, wie die Gondel anhielt und zwei Schatten rasch in den Palazzo hineingingen. Die Gondel setzte sich in Richtung Canale di San Marco in Bewegung. Pietros Verwunderung wurde zu Angst. Jemand bewegte sich um diese von Dieben und Mördern genutzte Zeit in den Eingeweiden des Palazzo. Es war eine instinktive Angst, die den Schlamm am Grund aufwühlte und jede vernünftige Reaktion trübte. Wenn er handeln wollte, musste er es sofort tun. Er löste sich vom Fenster, ging barfuß im silbernen Mondlicht auf die nächste Tür zu, die in Andreas Zimmer führte, und verriegelte sie. Dasselbe tat er mit der Tür zum großen Korridor, der sich den Namen Philosophensaal anmaßte. Um aus seinem Zimmer zu gelangen, benutzte der Doge die hinter Stuckwerk und Gesimsen verborgene Dienstbotentür, die in einen schmalen Gang mit einem Fenster zum Rio führte.
    Sein Herz pumpte in nervösen Arhythmien, während er zum Ende des Flurs ging und den Riegel vor die Tür aus massiver Eiche legte, hinter der eine Treppe zur Gondelanlegestelle führte. Das dumpfe Geräusch des Eisens, das in die Klammern fiel, hallte durch den Gang. Er fasste sich keuchend an die Brust, stieß Luft aus und sog sie ein.

Weitere Kostenlose Bücher