Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
Vom Netzwerk:
Sein Blick fiel durch eine weitere Tür in den Wappensaal. Dort prangte im zitternden, unheimlichen Licht eines Öllämpchens der Schild der Familie Loredan, halb in Blau, halb in Gold, mit drei Blumen auf jeder Seite, die vom Corno Ducale gekrönt wurden. Das Wappen hing inmitten des blauen Mittelmeers, auf dem sich die braune, zerklüftete Küste Anatoliens und die Flecken der Inseln im Dodekanes, Candia und weiter unten das große Zypern, abzeichneten. Der Anblick des Familienwappens mitten in dem großen Kartenfresko des Geographen Ramusio steigerte die Angst des Dogenins Unermessliche, er fühlte sich wie eine Zielscheibe vor Armbrustschützen. Als er sich der gemalten Landkarte näherte, fiel sein Blick wie eine Kompassnadel auf Alexandria in Ägypten, und die tödliche Bedeutung der Prophezeiung des Sufi-Mystikers umschlang ihn wie die Tentakel eines Kraken.
    Dann sind dies also meine letzten Momente, dachte er nicht ohne Selbstmitleid. Und noch war er nicht ganz in die schwärzeste Finsternis der Verzweiflung gestürzt, als das Türchen aus intarsiertem Holz direkt unterhalb der spanischen Küste bei Granada aufgerissen wurde und ein mit Arkebuse bewaffneter Mann ihm entgegenstürzte. Pietro blieb mitten im Saal stehen, einen entsetzten Ausdruck im Gesicht.
    »Vostra Serenità , was geht hier vor?«, rief der Mann aufgeregt. Und schon kamen hinter seinem Rücken mehr Männer aus der Tür, Gewehre, Schwerter und Armbrüste in den Händen. Manche, die sich in der Eile nicht hatten ankleiden können, waren noch damit beschäftigt, die Schnallen ihrer Hosen zu schließen und die Schleifen ihrer Hemden zu binden, sie trugen den Schlaf und die Verwirrung wegen des plötzlichen Alarms im Gesicht geschrieben.
    »Zaccaria, sei gesegnet!«, brachte der Doge mit ersterbender Stimme heraus. Der Mann verbeugte sich vor ihm. »Jemand ist von der Tür zum Rio in den Palazzo eingedrungen!«
    Der Mann blickte den Dogen erstaunt an, als könnte er die Nachricht nicht glauben, und schien noch etwas fragen zu wollen, doch er war Soldat, Hauptmann der Scudieri, und seine Aufgabe war es, zu handeln.
    »Bico, Luca, Antonazzo!«, befahl er den ersten drei von sieben Männern, die herbeigeeilt waren, »zur Tür des Rio!« Die drei stürzten auf den Dienstbotengang zu, aus dem der Doge soeben gekommen war. »Agustin und Vido   … dorthin mit den Arkebusen!« Die beiden jungen kräftigen Burschen postierten sich mit gezücktem Gewehr vor der Sala degli Scarlatti. »Ihr zwei bleibt hier bei Seiner Durchlaucht!«
    Im Nu hatte Pietro Loredan die Wachen an seiner Seite, die sich mit gezogenem Schwert, den Rücken zum Dogen, nach allen Seiten umblickten. Einen Augenblick später ertönte im Saal nebenan, oder besser von der Tür, die auf die Treppe führte, ein Geräusch. Erst ein fernes, dumpfes Stampfen, dann wurde es lauter und zu deutlich erkennbaren Schritten.
    Der Hauptmann der Wachen machte zwei der drei Bewaffneten, die den hinteren Teil des Flurs bewachten, ein Zeichen herzukommen. Flink und leise stellten die beiden sich neben ihre Kameraden an die Porta degli Scarlatti und hoben die Armbrüste auf das schwarze Rechteck der gegenüberliegenden Tür.
    Pietro Loredan begann im Geiste zu beten: Pater noster, qui es in coelis   …
    Die Schwerter seiner Beschützer hoben sich, die Schützen legten die Arkebusen an, den Blick auf die etwa sechsundzwanzig Fuß entfernte Tür gerichtet. Eine aus dieser Entfernung abgeschossene Bleikugel konnte einen Kopf zerplatzen lassen und zwei übereinanderliegende Eisenplatten durchbohren. Hinter dem Rechteck breitete sich ein Lichtschimmer aus, die Schatten schwankten. Die Männer schienen den Atem anzuhalten. Sogar der Doge unterbrach sein Gebet und zählte im Geist die letzten Schritte mit.
    Das Erste, was im Rechteck der Tür erschien, war ein mit Weintrauben gefüllter Korb. Dann die Ärmel eines Kittels und gleich darauf Zaneto. Zwei Schritte hinter ihm trat der Sekretär der Zehn herein, Zuàne Formento. Er hielt eine Laterne in der Hand und blickte sich erstaunt um.
    »Was für eine Verschwendung von Lichtern   …«, flüsterte er, doch weiter kam er nicht, denn Zaneto war schlagartig stehen geblieben: Weniger als drei Schritt entfernt starrten sie vier Scudieri an, die Waffen gesenkt, aber noch immer in den Händen.
    »Signori, was ist hier los?« Formento sprach als Erster, mit fassungsloser Miene.
    »Das frage ich Euch, Segretario!« Der strenge Ton ließ dieScudieri beiseitetreten.

Weitere Kostenlose Bücher