Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Pietro Loredan tauchte in seinem Morgenmantel aus dem Dunkel der Sala dello Scudo auf und kam, begleitet vom Hauptmann, näher. Formento blickte ihn entgeistert an, stumm vor Staunen.
»Nun?«, drängte der Doge.
Langsam seine Fassung zurückgewinnend, verbeugte der Sekretär sich mit einer Hand auf der Brust. »Serenità, die habe ich für Euch gepflückt, um Euch eine Freude zu machen«, sagte er mit bebender Stimme und aufgerissenen Augen, während er auf den Korb mit Weintrauben zeigte. »In meinem Weinberg in Castello hat die Lese begonnen.«
20
Das Beiboot mit achtzehn Ruderern hatte sich mit dem Kiel in den Sand gebohrt und schwankte bei jeder Welle, die es am Heck erfasste. Die Männer an Bord saßen über die erhobenen Riemen gebeugt, aber sie waren bereit, sofort wieder das Wasser zu peitschen und abzufahren. Bepo Rosso roch ihren Gestank nach Schweiß und Urin.
Der Werkmeister stand am Ufer, das kupferne Kästchen geöffnet in den Händen, einen Schritt vor Ibrahim Bey, dem Dragoman und müteferrika , außerdem Offizier im Dienst des türkischen Geheimdienstes. Der Mann um die fünfzig, dessen Bart zu schwarz war, um nicht gefärbt zu sein, trug einen dunklen Turban mit Pfauenfeder, einen wollenen Kasack mit einer Binde um den Bauch und dunkle Hosen in Stiefeln. Er blätterte in einem kleinen Buch. Ein junger Mann in Tunika mit nackten Beinen leuchtete ihm mit einer Fackel. Eine stärkere Welle kam bis zum Ufer hinauf, umspülte die Beine der drei, floss zurück und versickerte im Sand.
Ibrahim Bey gab dem Jungen ein Zeichen, der sich sofort ein ledernes Futteral, das er um den Hals trug, abstreifte und ihmreichte. Der türkische Offizier öffnete es sehr vorsichtig und holte eine kleine fünfeckige Glasplatte heraus, die er so auf das Buch legte, dass der untere Rand der ersten Buchseite und eine Seite des Pentagons zur Deckung kamen. Konzentriert betrachtete er das Ergebnis, vom Werkmeister des Arsenale ängstlich beobachtet.
Bepo Rosso war Ibrahim erst ein Mal begegnet, im Januar 1567, als der hochrangige Abgesandte in offizieller Mission nach Venedig gekommen war, um den Friedensvertrag mit Sultan Selim II. zu ratifizieren. Die Begegnung war kurz und unerwartet gewesen: Der Werkmeister hatte den Türken direkt vor seinem Haus angetroffen, als er gerade im Begriff war, sein Boot an den Ankerringen des Rio della Panada zu vertäuen. Der osmanische Offizier polnischer Herkunft hatte in Padua studiert und sprach fließend Italienisch. Er begrüßte den Werkmeister mit Namen, nannte ihn einen Freund und sagte dann einen Satz, den Rosso sich von dem Tag an jedes Mal wiederholt hatte, wenn ihn Zweifel oder moralische Skrupel plagten.
»Freue dich, arkadasim , denn dein Sohn Giorgio lebt und wird bald in dein Haus zurückkehren«, hatte Ibrahim mit einem breiten Lächeln gesagt und ihm einen Brief des Jungen in die Hand gedrückt. Rosso hatte der Atem gestockt, und gerne hätte er ihn mit Fragen bestürmt, wenn der andere nicht abgewehrt hätte, er habe wenig Zeit, denn um diese Begegnung möglich zu machen, habe er sein venezianisches Geleit abschütteln müssen.
»Sei unbesorgt«, hatte der Türke hinzugefügt, »dein Sohn steht unter dem Schutz des Großwesirs Sokollu Mehmet, einem großen Freund Venedigs.«
Da hatte Bepo Rosso, ein praktisch denkender Mann, der wusste, dass man nichts umsonst bekam, erkannt, dass er nun den Grund hören würde, warum der zweitmächtigste Mann des Osmanischen Reiches gerade ihm so viel Aufmerksamkeit schenkte. Und tatsächlich hatte Ibrahim mit der für Levantiner typischen Redegewandtheit, verbunden mit der Eile desjenigen, der sich verfolgt weiß, erklärt, dass der Großwesir ihn um einen Gefallen bitten wollte: Er solle ein seltenes, kostbares Buch finden, das in Venedig aufbewahrt wurde. Entsprechende Instruktionen werde er bald erhalten. Mehr hatte Ibrahim nicht gesagt, weil seine venezianischen Begleiter in dem Moment an den Fondamenta aufgetaucht waren und er sich beeilte, seinen wiedergefundenen Stadtführern mit geheuchelt erleichterter Miene entgegenzugehen.
»Sehr gut, Werkmeister Rosso.« Die Worte des Offiziers weckten ihn aus seinen Erinnerungen. »Das Buch hat die richtige Größe, und der Text ist Griechisch«, fuhr er fort. »Unsere Experten werden es übersetzen. Wenn es das ist, was Seine Exzellenz sucht, freue dich, denn noch vor Weihnachten wirst du deinen Sohn umarmen können.«
Der Zweifel in Ibrahims Bemerkung verstimmte Rosso.
»Ich
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