Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
bin ganz sicher, das ist das Buch!«, rief er unwillkürlich aus.
Ibrahim bedachte ihn mit einem ironischen Blick.
»Warum machst du dir dann Sorgen?«, erwiderte er, indem er Bepo das Kupferkästchen aus der Hand nahm und das Buch hineinlegte.
»Ich habe einen hohen Preis gezahlt, um es Euch zu beschaffen.«
»Findest du etwa, dass unsere Entschädigung nicht angemessen ist?«, entgegnete Ibrahim, ohne ihn anzuschauen, während er den Lederriemen um das Kästchen festzog.
»Nein, nein«, antwortete Rosso hastig. »Sie ist mehr als angemessen …«
»Nun?«, fragte der Offizier und sah ihn wieder an.
Dem Werkmeister wurde bewusst, dass er nichts erwidern konnte, obwohl ihm nun, da er das Buch als Tauschpfand nicht mehr besaß, die Angst um das Schicksal seines Sohnes auf dem Herzen und den Lippen lag. Also kniete er nieder, beugte das Haupt und legte seine Hände aneinander: »Ich habe Euch gegeben, wonach Ihr suchtet, jetzt bleibt mir nur noch Euer Wort. Ich flehe Euch an, Herr, tut meinem Sohn nichts zuleide.«
»Das Wort ist heilig für mich, Werkmeister Rosso«, entrüstete sich der andere. »Wir sind Freunde unserer Freunde.«
Rosso schloss die Augen.
»Vergebt mir. Im Namen Gottes«, flüsterte er.
» Allah büyük «, sagte Ibrahim mit einem leichten Nicken. Dann gab er seinem Diener das Futteral mit dem Glas zurück, drehte sich um und ging, das Kästchen mit seinem kostbaren Inhalt fest unter dem Arm, auf die Fregatte zu.
Der Werkmeister beobachtete, wie der Offizier watend das Schiff erreichte. Der Türke legte das Kästchen hinter die Bootswand und sprang äußerst gelenkig an Bord, indem er sich am Bugspriet festhielt, als schwänge er sich in den Sattel eines Vollblutpferdes. Der Diener löschte die Fackel im Wasser. Ibrahim reichte ihm die Hand, der Junge ergriff sie und wurde an Bord gezogen.
Ein knapper Befehl, die Rücken der Ruderer beugten sich gleichzeitig nach vorn, und achtzehn Ruder senkten sich ins Wasser. Der Schub war so stark, dass das Boot knarrte und sich aus dem Meer zu erheben schien, als wollte es fliegen. Es schob sich zwei Schiffslängen hinaus aufs Meer, das Heck voran in den Wellen, und Rosso hörte mindestens zweimal, wie die Brecher es mit einem dumpfen Aufprall erschütterten. Wieder ein scharfer Befehl, dann drehten sich auf beiden Seiten die Ruderblätter und wendeten das Boot. Als der Bug auf dem Streifen Mondlicht lag und auf das offene Meer zeigte, beugten die Rücken sich wieder über die Riemen, die knarrend ins Wasser tauchten, und die Fregatte entfernte sich schnell.
Bepo Rosso sah sie mit mindestens dreißig Ruderschlägen in der Minute verschwinden, was einer Geschwindigkeit von zehn Knoten entsprach. Er berechnete, dass die Galeere, zu der das Beiboot gehörte und zu der es jetzt zurückkehrte, nicht weiter als fünfzehn Meilen von der Küste entfernt sein konnte. Einpaar Stunden vor Sonnenaufgang würden sie dort sein, und im Morgengrauen wären die Türken weit genug von Venedig entfernt, um keinen Verdacht bei den sie kreuzenden Schiffen zu erregen.
Er dachte wieder an Giorgio, seinen Sohn, an jenen einzigen Brief, den er ihm geschrieben hatte, gewiss nach Diktat. Denn die Handschrift war zwar seine, doch das, was er berichtete, stammte nicht von ihm. Wie hätte er sonst schreiben können, es gehe ihm gut als Galeerensklave an Bord der Sultana des Großadmirals Müezzinzade Ali? Rosso dachte an seine Frau Annina. Einen ganzen Tag lang hatte sie geweint, nachdem sie gelesen hatte, dass er lebte, und seither ging sie jeden Morgen eine Kerze vor der Madonna dell’Orto anzünden. Von seinem Pakt mit den Türken hatte Bepo Rosso ihr nichts erzählt.
Als er dem Schiff den Rücken zuwandte und zur Mühle zurückging, dachte Rosso darüber nach, auf welchen Abgrund er sich eingelassen hatte, nur um seinen Sohn zu retten: Er hatte gelogen, gestohlen und betrogen. Bis zur Explosion des Arsenale. Aber das war ein Unfall gewesen. Ein tragischer Unfall.
21
Der Oberaufseher Zaneto stieg mit einer Fackel in der Hand die Steintreppe hinab, die von der Avogarìa in die Pozzi führte. Im Mezzanin durchquerte er den Korridor bis zu dem Fensterchen auf den Rio, und dort blieb er stehen, um zu lauschen. Seit auf dem anderen Ufer das Haus von Zuàne della Vedova abgerissen worden war, um Platz für die neuen Gefängnisse zu schaffen, erfassten die Bora und der Ostwind die ganze Fassade und drangen brüllend durch jedes Loch, jeden Spalt und alle Fenster von den
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