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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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Celestia einzudringen. Andrea ließ seinen Spekulationen freien Lauf, denn ein Zufall war so verlässlich wie ein Stab, den ein Gaukler auf seiner Nase balanciert, zwei Zufälle mussten mit derselben Vorsicht behandelt werden, mit der man eine Leiter an einen Feigenbaum lehnt, drei dagegen wurden zu den Beinen eines stabilen Tischchens, auf dem ein Richter einen Haftbefehl unterschreiben konnte. Im Grunde ließ sich sogar die Explosion des Arsenale mit allen anderen Ereignissen verbinden.
    »Wie traurig, Euch unter solchen Umständen wiederzusehen«, hatte der Prior honigsüß zu ihm gesagt. »Allerdings auch recht überraschend. Darf ich fragen, warum Ihr hier seid?« Andrea war eine Antwort schuldig geblieben, und dieses Schweigen hatte der Prior als profunder Kenner der menschlichen Seele flugs zu nutzen gewusst: »Ser Loredan, ich hoffe, Ihr versteht mich recht, aber wie kann ich vermeiden, dem Criminal zu berichten, was gestern zwischen Euch und der Novizin vorgefallen ist und wovon ich Zeuge wurde?« Als Andrea Überraschung heuchelte und ihn bat, sich deutlicher auszudrücken, hatte der Prior eine zweideutige, warnende Bemerkung gemacht: »Ich bitte Euch, Signore, wir wissen doch beide, wie gewisse Dinge ablaufen! Das arme Mädchen wird bei Eurem Anblick ohnmächtig. Ihr eilt zu ihr, stützt sie besorgt   … liebevoll besorgt, würde ich sagen   …«
    »Was wollt Ihr damit unterstellen?«
    Der Prior hatte ihn mit dem winzigen Rest christlicher Nächstenliebe angesehen, den er mit seinem von den Pocken verwüsteten Gesicht auszudrücken imstande war, und hatte, sofort einen weicheren Ton anschlagend, hinzugefügt: »Ich wollte Euch nicht beleidigen und auch nichts unterstellen. Gott sei mein Zeuge.« Und nach einer kurzen Pause: »Doch es ist etwas Schreckliches geschehen, und abgesehen davon, dass wir für die arme Seele beten, müssen wir um des guten Namens des Klosters und des Friedens unserer Gemeinschaft willen unbedingt herausfinden, warum. Also sage ich mir, dass auch eine enttäuschte Liebe eine junge Frau zu einer so verzweifelten Tat treiben kann   …« Darauf hatte dieser Mönch, der die Kunst des Angriffs und der Verteidigung meisterlich beherrschte, Andreas Reaktion nicht abgewartet, sondern sich mit einer Verneigung und einem »Jetzt entschuldigt mich bitte   …« verabschiedet, um auf das Kloster zuzueilen, das man hinter der mit Wein umrankten Pergola und dem Artischockenfeld erblickte.
    Andrea verscheuchte den Gedanken an die Anschuldigungen des Priors, denn er spürte, dass sie ihn wieder in den Strudel hineinzogen und ihm vernünftiges Nachdenken verwehrten. Um sich abzulenken, beobachtete er, was um ihn herum geschah. Auf der einen Seite des Gartens versammelten sich, den Rosenkranz betend, die Nonnen der Celestia. Hinter den Laken bewegten sich die Schatten. Als er genauer hinsah, bemerkte Andrea, dass die Stickereien auf den Laken die Kreuze des heiligen Jakobus darstellten. Diese Kreuze, die aussahen wie Schwerter mit breitem, verziertem Heft, schienen, von den Laternen beleuchtet, in dem Nebelschleier, der sich nach dem Sonnenuntergang erhoben hatte, nach allen Seiten heilige Strahlen auszusenden, und mit dieser Beleuchtung schien die weltliche, entweihte Ecke des Gartens zum heiligsten Ort des Klosters aufgestiegen zu sein. Als sie diese wunderbare Vision gewahrten, die mit zunehmender Dunkelheit noch deutlicher wurde, versammelten sich alle anderen Anwesenden, auch die Fischer, bekreuzigten sich, knieten nieder und begannen zu beten.

32
    Der Aufseher Zaneto traute nur Visdecazzòn, dem bedachtesten seiner Männer. Ihm überließ er darum die Schlüssel und die Verantwortung für die neunzehn Pozzi, wenn Pflichten ihn aus dem Palazzo führten. Visdecazzòn wiederum traute nur seinem Freund, dem Assassino, darum übertrug er ihm, wenn zu jeder vollen Stunde der Kontrollrundgang gemacht werden musste, die unteren Zellen, während er sich die bequemeren im Obergeschoss vorbehielt.
    Mehmet Hasan, der alte Türke, hatte alles gut vorbereitet. Das Patriarchenkreuz aus Bronze hatte er hoch oben, fast an der Decke der Zelle, in einen Spalt zwischen die Lärchenbretter gezwängt. An das Kreuz hatte er ein festes Band aus Wolle geknotet, das er aus dem Saum der Decke gerissen und zu einer Schlinge gebunden hatte. Der Kontrollrundgang war pünktlich gekommen, soeben hatte es vier Uhr nachts geschlagen. Als er die Schritte des Assassino vom oberen Stockwerk kommen hörte, war der Alte auf

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