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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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Klöster«, stellte dieser sich vor. »Es ist mir eine Ehre, Eure Bekanntschaft zu machen, Ser Loredan.«
    »Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, Ser Zon«, erwiderte Andrea mit leichtem Kopfnicken, und ihm fiel ein, dass es sich um einen Patrizier handeln musste, der im Juni von Nicosia auf Zypern zurückgekehrt war. Rasch überschlug er im Geiste: Von fünf Männern dieser Ermittlungskommission waren vier dem Rat der Zehn ergeben, und nur einer, der Criminal, war fast einstimmig vom Großen Rat gewählt worden. Ein deutliches Ungleichgewicht, nicht zufällig sprach man ja seit langem von der Notwendigkeit einer Korrektur, um die Macht der Zehn einzudämmen.
    »Lassen Sie uns fortfahren, hochverehrte Signori«, beendete Catanio die Höflichkeiten brüsk, indem er sich erneut an Andrea wandte. »Wir bitten Euch, uns von Anna Tagliapietra zu sprechen, der armen unglücklichen Seele.«
    Diese Frage hatte Andrea natürlich erwartet, denn aufgrund seiner Erfahrungen mit Verhören und Ermittlungen hätte er sie selbst so oder ähnlich formuliert, dem Prinzip folgend, dass die Fragen umso vager ausfielen, je mehr der Ermittler wusste, damit ihm nicht der kleinste Widerspruch entging.
    »Ich weiß wenig von ihr«, hub er mit ruhiger, fester Stimme an. »Ich habe die arme Novizin in der Nacht zwischen dem dreizehnten und vierzehnten September kurz nach der Explosion des Arsenale kennengelernt. Sie war in der Krypta der Celestia und stand der sterbenden Äbtissin bei«.
    »War dies das erste Mal, dass Ihr sie saht, Ser Loredan?«, fragte der Criminal prompt. Andrea erkannte in der Frage den Nachhall des Verdachts auf eine Beziehung zu der Novizin, den der Prior geäußert hatte.
    »Ja, das erste Mal«, antwortete er, und in der nun folgenden Stille hörte er das Kratzen des Gänsekiels, mit dem der Skribent das Verhör protokollierte.
    »Und was könnt Ihr uns noch über Anna Tagliapietra sagen?«
    Nun nahm Andrea sich Zeit, zu überlegen, denn vor ihm lagen zwei Möglichkeiten: spontan alles zu erzählen oder in mehreren Schritten, Frage für Frage, bis zu der grundsätzlichen und unvermeidbaren Frage zu gelangen, die der Prior ihm schon gestellt hatte und der Criminal früher oder später wiederholen würde: »Warum wart Ihr heute Nachmittag um die neunte kanonische Stunde auf der Giudecca, Ser Loredan?« Eine überzeugende Antwort darauf zu geben, die einen Zufall ausschloss, hätte bedeutet, von der Verabredung mit Anna zu sprechen. Andrea beschloss darum, den Fragefluss sofort einzudämmen, indem er direkt auf den Kern der Sache zielte.
    »Ehrenwerte Signori«, sagte er, jeden einzelnen von ihnen ins Auge fassend, »wenn ich mir erlauben darf, und in aller Offenheit gesagt, ich glaube nicht an den Selbstmord von Anna Tagliapietra.«
    Nach einigen Sekunden bestürzten Schweigens erhob sich im Kapitelsaal ein gedämpftes Murmeln, während die ehrbaren Männer der Zonta sich zueinander beugten, um diese Aussage zu kommentieren, und der Schreiber, die Feder in der Luft, Andrea verwirrt anschaute, als wäre er so mit seiner Schönschrift beschäftigt gewesen, dass ihm die volle Bedeutung dieser Worte entgangen war.
    »Im Namen Gottes!«, rief Jacopo Zon, der Aufseher über die Klöster, schließlich aus. »Wollt Ihr uns das erklären?«
    »Was ist das für eine Behauptung?«, echote Michiel, der für Verbrechen gegen die Religion zuständig war.
    »Wollt Ihr etwa den Befund der Ärzte in Zweifel ziehen?«, mischte sich Catanio empört ein. »Den Befund von Pavan und unseres Dottor Gasparo und sogar der Vertreter der Gesundheitsbehörde, die einige Erfahrung mit Ertrunkenen haben?«
    »Ich möchte es niemandem gegenüber an Respekt mangeln lassen«, antwortete Andrea, die Arme ausbreitend. »Doch einen offiziellen Befund gibt es noch nicht. Man vermutet Ertrinken, doch auch wenn das bewiesen wäre, hätte die Ärmste noch immer gegen ihren Willen im Wasser enden können.«
    Wieder erfüllte ein missbilligendes Murmeln den Kapitelsaal. Diesmal wartete Andrea den nächsten Einwand nicht ab, sondern brachte das Stimmengewirr abrupt zum Verstummen: »Entschuldigung, Signori! Ich überlasse es Euch, das zu beurteilen, denn ausgerechnet heute um die neunte kanonische Stunde hätte ich Anna Tagliapietra am Ufer des Gartens treffen sollen!«
    Andrea machte eine Pause, um zu sehen, ob die Versammlung durch Schweigen anzeigte, dass sie die Fortsetzung seiner Ausführungen wünschte. Die Versammlung schwieg. »Sie selbst hat mir Ort und

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