Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
Vom Netzwerk:
die Pritsche gestiegen, hatte den Kopf in die Schlinge gesteckt und begonnen, mit geschlossenen Augen, tief einzuatmen. Als er die Sohlen des Wächters auf der Treppe über seiner Zelle hörte, hatte er sich entspannt, seinen Hals dem Stoffstreifen anvertraut und sich fallenlassen.
    Die Umklammerung nahm ihm den Atem und ließ seine Gedanken strömen. Er dachte daran, dass er schon zweimal lebend davongekommen war, weil er das Sterben gelernt hatte. Vor fünfzig Jahren in Rodi, als Suleimans Janitscharen die Ritter von San Giovanni angegriffen hatten und er sich zwischen vielen Toten tot gestellt hatte. Das zweite Mal war nicht lang her, auf der Rückkehr aus der Oase von Kufra waren sie von einem Rudel wilder Hunde angegriffen worden. Eines der Dromedare hatten sie zerfleischt, aber die Männer, die wie tot zwischen den Steinen lagen, nicht beachtet.
    Mehmet hörte die bedächtigen Schritte des Assassino bis vor seine Tür kommen und das Rascheln der Kleider, als der Mann sich vor das Guckloch beugte. Eine Pause. Dann hektische Bewegungen.
    »Toni! Toni!«, hörte er schreien, während der Schlüssel umgedreht und der Riegel zurückgeschoben wurde. Das Türchen flog auf, der Assassino kroch auf allen vieren herein. Der Alte fühlte, wie er an den Beinen gepackt und hochgehoben wurde, gleichzeitig ließen schnelle Schritte die Treppe erzittern. Es war Toni: Visdecazzòn. Im Nu war auch er in der Zelle, um seinem Freund zu helfen, fluchend und den Türken verwünschend, denn ein Selbstmord warf immer ein schlechtes Licht auf die Wächter und konnte sie sogar ihre Stelle kosten. Der Knoten der Schlinge wurde gelockert, und Mehmet hörte das Keuchen der Wächter, die ihn in den Armen hielten und auf die Pritsche legten.
    »Los, ruf Dalessi, mach schnell!«, schrie Visdecazzòn.
    Füße und Hände flogen, schon war der Assassino draußen. Mehmet spürte, wie der Wächter ihm leichte Ohrfeigen gab, Wasser holte, es ihm über das Gesicht goss und auf seinen Atem lauschte. Das spürte er und hörte die Flüche und alles andere, was geschah, aber er stellte sich weiter tot.

33
    Das Erste, was Andrea sah, war das große Lesepult für die Chorbücher in der Mitte des Kapitelsaals und darüber den Kristalllüster mit langen Armen voll frischer Kerzen, der sich leicht schwankend drehte. Das Zweite waren die Fresken an der Decke und dem oberen Viertel der Wände und die Täfelung aus dunklem Holz, die den unteren Teil bedeckte. Zuletzt sah er Zuàne Formento. Der Sekretär hatte sich von einem Chorstuhl erhoben und kam auf ihn zu. Andrea war überrascht, ihn hier zu sehen, er musste durch einen Seiteneingang des Klosters gekommen sein, um jeden Kontakt mit Milledonne, dem anderen Sekretär der Zehn, den er offen verachtete, zu vermeiden.
    »Bitte, Ser Loredan«, sagte Formento laut, doch als er nur noch einen Schritt vor ihm stand, senkte er seine Stimme zu einem fast unverständlichen Flüstern: »Ich bin auf Eurer Seite, aber hütet Euch vor dem Criminal.« Der Sekretär quittierte Andreas Erstaunen mit einer leichten Verbeugung und einem höflichen »Kommt mit mir, Avvocato.« Seine Stimme wurde wieder lauter. Er zeigte auf einen Scherenstuhl vor der mittleren Bank, auf der, alle anderen überragend, Alvise Catanio saß, der Signore di Notte al Criminal, den Andrea gut kannte und dessen Strenge und Ehrlichkeit er schätzte. Dennoch war Catanio der Einzige, der sich bei Andreas Eintreten nicht erhoben hatte. Neben ihm stand Domenico Bosso, der Bezirksverwalter, der als einer der Ersten zum Kloster geeilt war und mit dem Andrea an diesem tragischen Nachmittag schon mehrmals hatte sprechen können. In den anderen beiden Mitgliedern dieser Art Untersuchungskommission erkannte er Melchiorre Michiel, einen der Esecutori contro la bestemmia , ein bescheidener, zurückhaltender Mann, wohlgelitten vom Patriarchen Venedigs. Der andere rief trotz seiner bekannten Gesichtszüge keine genaue Erinnerung in Andrea hervor. Ein paar Schritte von der Kommission entfernt saß auf dem ersten Platz des seitlichen Chorgestühls ein Protokollant.
    »Setzt Euch«, sagte Catanio lakonisch wie immer. Andrea setzte sich und mit ihm die anderen, so dass die Stuhlflächen knarrten. »Nun, Ser Loredan«, fuhr der Signore al Criminal fort, »ein tragisches Schicksal führt uns wieder zusammen«, er zögerte, »Ihr kennt doch alle hier Anwesenden?«
    »Nicht alle«, sagte Andrea, sich zu einem der Männer wendend.
    »Jacopo Zon, Aufseher über die

Weitere Kostenlose Bücher