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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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die ihr kaum über die Knie reichte. Sie hatte die erstaunlich blonden Haare ihres Vaters, die ihr verfilzt und zerzaust über den Rücken fielen. »Ich war lange unterwegs, und für einen Mann ist es schwer, richtig für ein Mädchen zu sorgen«, sagte Khryse, dem Kassandras Blick nicht entging. »Darf sie hier im Tempel des Sonnengottes leben?« 
    »Gewiß«, erwiderte Charis. »Aber für eine von Apollons Jungfrauen ist sie noch zu jung. Wenn sie größer ist, kann sie sich selbst für diesen Weg entscheiden, wenn sie ihn einschlagen möchte. Bis dahin … Kassandra, nimmst du die Kleine mit und achtest du darauf, daß gut für sie gesorgt wird?«
    »Dann bin ich der Herrin Kassandra zweifach zu Dank verpflichtet«, sagte Khryse, verbeugte sich und lächelte sie dabei strahlend an.
    Kassandra versuchte, Khryse nicht noch einmal anzusehen, und streckte dem Mädchen die Hand entgegen.
    »Komm mit, Kleines. Hast du Hunger?«
    »Ja. Aber Vater hat gesagt, ich darf nichts verlangen.«
    »Du wirst etwas zu essen bekommen. Im Haus des Gottes hungert niemand«, erwiderte Kassandra und führte das Mädchen in ihren Raum. Sie rief eine Dienerin und befahl, Brot, Wein und ein Körbchen Obst zu bringen.
    »Zuerst brauchst du ein Bad und etwas Frisches zum Anziehen«, sagte Kassandra, denn die Sachen des Mädchens waren schmutzig und zerlumpt. Mit Hilfe einer der Aufseherinnen badete sie das Mädchen. Als Kassandra den kleinen Körper einseifte, stellte sie fest, daß die Kleine keineswegs so jung war, wie sie aussah. Das Mädchen hatte bereits Brüste und goldene Schamhaare. Nachdem der Schmutz der Straße abgewaschen war, wurde deutlich, daß sie die Schönheit ihres Vaters besaß, und als Kassandra sich nach ihrem Namen erkundigte, überraschte die Antwort sie nicht: »Meine Mutter nannte mich nach der Geburt Helike. Aber Vater ruft mich immer Chryseis.«
    Die Goldene ! »Der Name paßt gut zu dir«, sagte Kassandra. »Er würde noch besser passen, wenn deine Haare nicht so verfilzt wären. « 
    »Ich nehme an, man muß sie abschneiden«, erwiderte Chryseis. 
    »0 nein, das wäre schade«, rief Kassandra, »dafür sind sie zu schön.« Sie nahm einen Kamm und begann vorsichtig, die Haare auszukämmen; zwei oder drei der schlimmsten Zotteln mußte sie jedoch tatsächlich abschneiden. Dann bürstete sie die Haare, bis sie glatt waren und glänzten und Chryseis in schimmernden Locken über die Schultern fielen. Chryseis erhielt das weiße Gewand der Novizinnen und einen gewebten Seidengürtel, der Kassandra gehörte. Chryseis berührte ihn ehrfürchtig, als Kassandra ihn ihr umlegte.
    »Ich habe noch nie so etwas Hübsches getragen!«
    »Jetzt siehst du aus wie eine Jungfrau des Sonnengottes«, sagte Kassandra. »Apollon wird so zufriedener mit dir sein als mit einem schmutzigen Mädchen.«
    Die Kleine sah halb verhungert aus; mit zitternden Fingern griff sie nach dem Brot und den Trauben, als habe sie seit Tagen nichts gegessen. Kassandra sah, daß sie versuchte, sich zu beherrschen und manierlich zu essen. Mit Tränen in den Augen bedankte sie sich bei Kassandra.
    »Unterwegs bekam Vater in den Tempeln manchmal etwas zu essen«, erzählte sie. »Aber er wollte nicht, daß fremde Männer mich sahen.« Damit nicht der Eindruck entstand, sie wolle ihren Vater tadeln, fügte sie schnell hinzu: »Wenn er konnte, hob er immer etwas für mich auf.«
    Kassandra war gegen ihren Willen gerührt.
    »Wenn die Aufseherinnen es erlauben, darfst du in meinem Zimmer schlafen, und ich werde mich um dich kümmern.«
    Chryseis lächelte scheu. »Und werde ich auch Pflichten im Tempel haben?«
    »Natürlich. Niemand ist müßig im Haus des Gottes«, erwiderte Kassandra. »Aber bis wir wissen, wo deine Begabung liegt, bekommst du Aufgaben, die deinem Alter angemessen sind. « Zu der Aufseherin sagte sie: »Bring sie zu Phyllida. Sie kann ihr helfen, den Kleinen zu hüten.«
    Es war immer noch früh, als Kassandra in den Hof zurückkam, wo Charis und Khryse auf sie warteten. Die alte Priesterin half ihm beim Zählen der Opfergaben, die während der Nacht im Tempel abgegeben worden waren - kleinere Dinge, die Einwohner aus Frömmigkeit in den Tempel’ brachten, ohne eine besondere Bitte damit zu verbinden. Die Priesterin schnitt Kerben in die Kerbhölzer: eine Kerbe für einen Krug Öl oder Wein, eine Kerbe für einen Teller Fladen, eine Kerbe für zwei Tauben in einem geflochtenen Weidenkäfig. Kassandra berichtete, was sie für das Kind

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