Die Feuer von Troia
würde für Troia kein Unglück bedeuten, nur für unsere Feinde.« In seiner Stimme lag Mitleid. Sie warf den Kopf zurück und stieß einen langen verzweifelten Klageschrei aus.
»Du Arme«, sagte Helena und kam zu ihr, »warum hast du beschlossen, mich zu hassen? Du bist die Schwester meines geliebten Paris. Ich bin bereit, dich als Schwester zu lieben.«
Kassandra wich vor Helenas ausgestreckten Händen zurück. Sie glaubte, sie würde zu Boden stürzen und sich übergeben müssen, wenn diese Frau sie berührte. Sie starrte Priamos verzweifelt an.
»Warum willst du nicht auf mich hören? Kannst du nicht sehen, was das bedeutet? Hier kämpft nicht nur ein Mensch, hier kämpfen die Götter, und kein Mensch kann leben, wenn unter den Unsterblichen Krieg herrscht«, klagte sie, »und doch behauptest du, ich sei wahnsinnig. Ich sage dir, dein Wahnsinn ist schlimmer als meiner!« Sie drehte sich heftig um und rannte in den Palast.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sei sie den ganzen Weg vom Tempel gerannt. Sie zitterte und fühlte sich krank. Sie schien durch Flammen zu rennen, die um sie herum loderten. Rauch und Brandgeruch erfüllten den Palast.
Kassandra schrie entsetzt auf, als Hände sie berührten, und wollte zurückweichen. Aber die Hände hielten sie fest und zogen sie in eine liebevolle Umarmung. Die Dunkelheit wich. Es gab kein Feuer. Verwirrt blickte sie in Andromaches dunkle Augen.
»Kassandra, Liebes, was fehlt dir?«
Kassandra schüttelte den Alptraum ab. Aber da ihr noch nicht völlig bewußt war, was geschah, oder wo sie sich befand, konnte sie Andromache nur sprachlos anstarren.
Du bist erschöpft, Schwester. Du warst zu lange in der Sonne«, sagte Andromache. Sie legte den Arm um Kassandra und führte sie in das kühle schattige Gemach.
»Wenn es doch nichts Schlimmeres wäre als das«, stöhnte Kassandra.
Andromache drückte sie sanft auf eine Bank mit weichen Kissen und hielt ihr einen Becher mit kühlem Wasser an die Lippen.
»Denkst du, ich würde mich nicht selbst lieber für verrückt halten oder glauben, ich hätte einen Sonnenstich, wenn ich das Gefühl hätte, ich müßte nicht sehen, was ich gesehen habe?«
»Ich glaube dir«, sagte Andromache, »ich halte dich nicht für verrückt. Aber ich glaube nicht an deine Visionen. «
»Denkst du, ich würde so etwas erfinden? Für wie schlecht mußt du mich halten!« rief Kassandra empört.
Andromache drückte sie liebevoll an sich.
»Nein, Schwester. Ich glaube, die Götter haben dich mit falschen Visionen gequält. Niemand könnte dich für boshaft genug halten, solche Dinge zu erfinden. Aber höre auf die Vernunft, Liebes. Unsere Stadt ist stark und gut befestigt. Es mangelt uns nicht an Kriegern und Waffen oder auch an Verbündeten. Wenn die Achaier solche Narren sein sollten, daß sie hinter dieser läufigen Hündin herjagen, anstatt sich zu sagen: >Wie gut, daß wir dieses Weib los sind!<, warum glaubst du, sollte Troia ihnen dann das geben, was sie scheinbar unbedingt haben wollen?«
Das klang für Kassandra vernünftig, viel zu vernünftig. Sie stöhnte und griff sich ans Herz.
»Ja, Hektor hat etwas Ähnliches gesagt«, murmelte sie, »aber… « Sie hörte sich wieder schreien: »Die Unsterblichen zürnen uns!« Sie kämpfte verzweifelt darum, aus der dunklen Flut aufzutauchen. »Wenigstens du weißt, daß sie nichts anderes als eine läufige Hündin ist«, sagte sie schließlich.
»0 ja, ich habe sehr wohl gesehen, welche Blicke sie Hektor und sogar deinem Vater zugeworfen hat«, erwiderte Andromache, »und es mag sehr wohl sein, daß einer der Unsterblichen sie als Fluch in unsere Stadt geschickt hat. Aber wenn es der Wille der Unsterblichen ist, können wir nichts dagegen tun.«
In ihrer Verzweiflung wiegte sich Kassandra vor und zurück. Andromaches geduldige Hinnahme des Schicksals erfüllte sie mit Grauen.
»Glaubst du wirklich, die Götter würden sich herablassen, gegen eine Stadt der Menschen Krieg zu führen? Welchen Grund sollten Sie dazu haben? Wir sind nicht böse oder gottlos. Wir haben keinen Gott erzürnt. Vielleicht«, sagte Andromache nachdenklich, »brauchen die Götter aber auch keinen Grund für das, was sie tun.«
»Welche Hoffnung bleibt uns«, fragte Kassandra weinend, »wenn die Götter nicht gerecht sind?«
Wie in einem strahlend aufleuchtenden Licht sah sie das Gesicht der schönen Aphrodite, der Göttin, die Paris erfolgreich verführt hatte.
I ch werde dir die schönste Frau
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