Die Feuer von Troia
Mann nicht und kommt zu Apollons Tempel, um sich diesen Rat zu holen? Aber Priester und Priesterinnen würden sich über die Melonen freuen.
Der Vormittag verging langsam; nur bei einer Frage mußte Kassandra eine Weile nachdenken. Ein Mann brachte ein schönes Zicklein als Opfer und erzählte, seine Frau habe gerade einen gesunden Sohn geboren.
»Und du möchtest dem Sonnengott dafür danken?«
Der Mann trat wie ein schuldbewußtes Kind von einem Bein auf das andere.
»Nun ja,« murmelte er, »eigentlich möchte ich wissen, ob es mein Kind ist, oder ob meine Frau mir untreu war.«
Seit der Zeit bei den Amazonen wußte sie, daß das Mißtrauen eines Mannes an der Treue seiner Frau im allgemeinen bedeutete, daß er sich der Achtung einer Frau für nicht würdig hielt.
Kassandra nahm das Opfer entgegen und ging in das Heiligtum. Fragen in dieser Richtung fürchtete sie, denn manchmal, aber es war nicht die Regel, hörte sie den Rat: Wenn du nicht sicher bist, setz das Kind sofort aus.
Diesmal antwortete der Gott nicht, und deshalb sagte sie dem Mann das Übliche: »Wenn du deiner Frau in anderen Dingen vertrauen kannst, besteht kein Grund, ihr jetzt zu mißtrauen.«
Der Mann war ungeheuer erleichtert. Kassandra seufzte und sagte: »Geh nach Hause und danke der Göttin für deinen Sohn. Vergiß nicht, dich bei deiner Frau dafür zu entschuldigen, daß du grundlos an ihrer Treue gezweifelt hast.«
»Das werde ich, Herrin«, versprach er.
Kassandra sah, daß keine anderen Bittsteller mehr warteten, und sagte zu Khryse: »Um diese Zeit sollten wir das Heiligtum schließen und ruhen, bis die Sonne tiefer steht. Es ist üblich, daß wir etwas Brot und Obst essen, ehe wir zurückkommen, um die Fragen der Leute zu beantworten.«
Khryse bedankte sich bei ihr und fügte hinzu: »Die Herrin Charis hat mir erzählt, daß du die zweite Tochter des Königs Priamos und seiner Königin bist. Du bist von edler Herkunft und schön wie Aphrodite. Wie kommt es, daß du hier im Tempel dienst, wenn doch bestimmt jeder Prinz und Edelmann an dieser Küste bis hin nach Kreta bereits um deine Hand angehalten haben müßte?«
»Oh, so viele waren es nicht«, erwiderte sie und lachte unsicher. »Als mich der Sonnengott in SEINEN Dienst gerufen hat, war ich noch nicht so alt wie deine Tochter.«
Khryse sah sie zweifelnd an. »ER hat dich gerufen? Wie?«
»Du bist ein Priester«, sagte sie. »ER hat doch bestimmt zu dir schon einmal gesprochen.«
»Dieses Glück hatte ich nicht, Herrin«, sagte er. »Ich glaube, die Unsterblichen sprechen nur mit den Großen. Mein Vater war ein armer Mann, und er hat mich dem Gott versprochen, weil mein Bruder das Fieber überlebte, das in meiner Kindheit in Mykenai wütete. Er hielt es für ein gutes Geschäft. Mein Bruder war ein Krieger, und ich taugte zu nichts, wie er sagte.«
»Das war nicht recht«, erklärte Kassandra heftig, »ein Sohn ist kein Sklave!«
»Oh, mir war das ganz recht«, sagte Khryse. »Ich eignete mich nicht zum Krieger.«
Kassandra lachte leise. »Merkwürdig«, sagte sie, »du bist doch bestimmt stärker als ich, und ich war einige Zeit bei den Amazonen eine Kriegerin.«
»Ja, ich habe gehört, daß es Kriegerinnen gibt«, sagte Khryse. »Aber ich habe auch gehört, daß sie ihre Liebhaber und ihre Söhne töten.«
»0 nein«, widersprach Kassandra. »Die Männer leben allerdings von den Frauen getrennt, und man übergibt die Söhne den Vätern, sobald sie entwöhnt sind.«
»Hattest du damals einen Liebhaber, schöne Amazone?«
»Nein«, erwiderte sie leise. »Ich habe dir bereits gesagt, ich bin eine Jungfrau des Sonnengottes.«
»Wie schade«, sagte Khryse, »daß eine so schöne Frau ungeliebt alt werden soll.«
»Du mußt mich nicht bedauern«, sagte Kassandra ärgerlich. »Ich brauche keinen Liebhaber.«
»Das finde ich ja so schade«, erwiderte Khryse. »Du bist eine Prinzessin. Du bist schön und freundlich. Das hast du meiner Tochter gegenüber bewiesen. Und doch lebst du allein, beantwortest die Fragen dieser dummen Bittsteller und dienst hier wie ein armes Mädchen von niedriger Herkunft.«
Plötzlich zog Khryse sie an sich und küßte sie. Erschrocken versuchte Kassandra, ihn wegzuschieben, aber er preßte sie so fest und leidenschaftlich an sich, daß sie sich nicht befreien konnte. Erstaunt spürte sie die Wärme seiner Lippen.
»Ich möchte dich nicht entehren«, flüsterte er. »lch möchte dein Liebhaber sein - oder dein Gemahl, wenn
Weitere Kostenlose Bücher