Die Feuer von Troia
ihm etwas zu schenken, was er sich so sehr wünschte. Sie schmiegte sich an ihn und flüsterte: »Ich liebe dich … ich glaube - ich glaube, ich liebe dich, seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe.« Sie spürte, wie er sich sanft an sie drückte, als habe er sich schon immer gewünscht, das zu tun. Er berührte nur ihre Finger, aber diese Berührung gab ihr ein größeres Gefühl der Nähe als eine Umarmung. Sie wollte wieder in seinen Armen liegen, aber sie wußte, wenn das geschah, dann war sie, nur sie für alles weitere verantwortlich.
»Aeneas …«, flüsterte sie.
»Ja, Kassandra?«
»Ich glaube«, sagte sie zärtlich mit einem Gefühl überwältigenden Staunens, »ich glaube, ich wollte mich nur deinen Namen aussprechen hören.«
Er drückte sie fest, aber sanft an sich, als fürchte er, sie könne bei der leichtesten Berührung zerbrechen. »Geliebte, ich weiß nicht …, ich bin nicht sicher, was ich möchte, aber ich möchte dich nicht verführen. Das kann ich jederzeit von jeder anderen haben. Ich liebe dich, Kassandra. Ich wollte es dir sagen, damit du verstehst. . «
»Ich verstehe«, sagte sie und drückte seine Hand. Der Mond am Himmel strahlte so hell, daß sie sein Gesicht so deutlich sah wie am Tag.
»Siehst du«, sagte er, »die Feuer im Lager sind alle erloschen. Es ist sehr spät. Du mußt müde sein. Ich sollte dich gehen lassen.« Es war spät. Sie löste sich von ihm und fröstelte ohne seine Umarmung. Sie gab ihm die Hand. Er neigte sich zu ihr, küßte sie aber nicht wieder, sondern flüsterte: »Gute Nacht, Geliebte. Die Göttin schütze dich. Ich warte hier, bis du durch das Tor gegangen bist.« Kassandra ging die letzten Schritte bis zum Tempel allein und klopfte an das Tor. Es wurde von innen geöffnet.
»Ah, Prinzessin Kassandra«, begrüßte sie ein alter Tempeldiener, »du warst im Palast. Bist du allein heraufgekommen?«
»Nein, Prinz Aeneas hat mich begleitet«, antwortete sie, und der alte Mann streckte den Kopf nach draußen und rief:
»Hatte der Prinz gern eine Fackel für den Rückweg?«
»Nein danke«, sagte Aeneas höflich, »der Mond scheint sehr hell.« Er verneigte sich vor Kassandra. »Gute Nacht, meine Schwester und meine Herrin.«
»Gute Nacht«, sagte sie, und als sie außer Hörweite des Dieners war, hörte sie sich flüstern: »Gute Nacht, mein Geliebter.« Bestürzung erfaßte sie. Sie hatte ahnungslos geschworen, sie werde Aphrodite, der achaischen Liebesgöttin, niemals dienen und auch nie dieser Art Leidenschaft verfallen.
Und jetzt war sie wie alle anderen Aphrodites Dienerin.
23
Die Truppen des Achilleus beluden die Schiffe. Der Streit im Lager der Achaier war offensichtlich nicht beigelegt worden. Eine der besten Kundschafterinnen des Priamos, eine alte Frau, die im Lager der Achaier Kuchen verkaufte und jeden Tag um die Mittagszeit und nach einem langen Gespräch mit dem Hauptmann der Wache in die Stadt zurückkehrte, berichtete, Achilleus habe sein Zelt nicht verlassen. Patroklos versuche, allerdings ohne großen Erfolg, zu erreichen, daß die Truppen nicht abfuhren.
Patroklos, so sagte sie, sei bei den Soldaten beliebt, aber die Truppen seien nur Achilleus treu ergeben, und wenn er nicht mehr kämpfen werde, würden sie es auch nicht mehr tun.
Am späten Vormittag stieg Kassandra mit Hekabe, Andromache, Helena und Kreusa auf die Mauer, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen.
Sie erfuhren, was die alte Frau berichtet hatte, und überlegten, was das für die Achaier bedeuten könne.
»Nicht viel«, sagte Paris, der an diesem Morgen der Hauptmann der Wache war, »Achilleus hat einen krankhaften Drang zu kämpfen, aber Agamemnon und Odysseus sind die Köpfe in diesem Krieg. Achilleus ist im Zweikampf natürlich der beste, und er fährt seinen Streitwagen wie ein Dämon. Seine Ameisen folgen ihm bei einem Angriff bis zum Ende der Welt.«
»Wie schade, daß niemand sie überreden kann, das zu tun«, murmelte Kreusa, »das würde die meisten unserer Probleme lösen - zumindest mit Achilleus. Kennt niemand einen freundlichen Unsterblichen, der die Gestalt von Achilleus annehmen und seine Männer zu einer wichtigen Aufgabe irgendwo am anderen Ende der Welt führen oder sie davon überzeugen könnte, daß sie unbedingt zu Hause gebraucht werden?«
»Das ist aber auch alles, was für Achilleus spricht«, fuhr Paris fort, ohne Kreusa zu beachten, »er ist verrückt danach zu töten. Er versteht nichts von Strategie oder
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