Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
Vom Netzwerk:
in den Tempel der Jungfrau getrieben hat.« 
    »Lieber Bruder, ich bin glücklich im Tempel des Sonnengottes«, sagte Kassandra und erwiderte seine Umarmung, denn sie wußte, er meinte es gut.
    Während sie die steilen Straßen hinaufstiegen, war es nicht sehr dunkel, denn gerade ging rund und strahlend der Mond auf. An einer Stelle, von der man einen besonders guten Blick auf das Lager der Achaier hatte, blieb Aeneas stehen.
    »In einer solchen Nacht wäre es für Hektor unklug gewesen, bei seiner Familie zu essen, wenn Agamemnon und Achilleus sich nicht gestritten hätten«, sagte Aeneas, »in den letzten drei Jahren gab es in Vollmondnächten meist einen Angriff von der dem Meer zugewandten Seite. Aber wie du siehst, ist dort unten alles dunkel. Nur im Zelt von Achilleus brennen Lampen. Ich möchte wetten, daß sie Wein trinken und sich immer noch die Köpfe heiß reden.« 
    »Aeneas, was ist das für eine Geschichte mit Polyxena?«
    »Oh, ihr Götter!« Er seufzte. »Ich kenne nicht die ganze Geschichte. Niemand tut das. Achilleus - nun ja, Priamos hat Polyxena vergeblich Achilleus als Frau angeboten. Er hoffte, unter den Achaiern Unfrieden zu stiften. Dein Vater ließ dann verbreiten, sie sei so schön wie Helena, und er würde sie nur dem mächtigsten… «
    »Wie? Polyxena so schön wie Helena? Wird er langsam blind?« 
    »Ich glaube, er kam sich besonders schlau vor, denn dann hat er sie dem König von Kreta angeboten.«
    »Idomeneo? Ich dachte, er steht auf unserer Seite!«
    »Nein, er hat sich mit Agamemnon verbündet. «
    »Aber das ist Verrat! Die Minoer waren schon unsere Verwandten und Verbündeten, ehe Atlantis im Meer versunken ist.«
    »Wie auch immer, Priamos hat Polyxena gleichzeitig vielen anderen Königen angeboten, und man konnte sich natürlich nicht einigen. Schließlich hat Polyxena nicht mehr mitgespielt und sich dagegen aufgelehnt… «
    »Aufgelehnt? Polyxena hat doch immer alles getan, was man ihr gesagt hat«, sagte Kassandra verblüfft.
    »Anfangs ja, aber dann erklärte sie: Sie komme sich wie ein Topf vor, der auf dem Markt verhökert wird - wie ein Topf mit einem Sprung, den niemand kaufen will. Sie gelobte kurz entschlossen, der Jungfräulichen Göttin zu dienen, und sie ist bis zum heutigen Tag in IHREM Tempel. Priamos hat sich mehr darüber aufgeregt als damals über dich, als du in den Apollontempel gegangen bist.« 
    »Das kann ich mir denken«, seufzte Kassandra, »Vater hielt mich schon als kleines Mädchen für aufsässig. Aber als Polyxena sich ihm widersetzte, muß es für ihn so gewesen sein, als hätte ihn sein Schoßhündchen gebissen. «
    »Ich glaube, genauso ist es. Deine Mutter war sehr unglücklich.« 
    »Ja«, sagte Kassandra, »Mutter erzieht uns zu Selbständigkeit, aber wenn wir einmal selbständig handeln, regt sie sich auf und ist entsetzt. Ich bin froh, daß meine Schwester die Entscheidung selbst getroffen hat.«
    Sie gingen schweigend weiter. Kassandra stolperte über eine Stufe. Aeneas fing sie auf.
    »Vorsicht!« mahnte er, »hier kann man tief fallen.«
    Sein Arm lag um ihre Hüfte. Er trug keine Rüstung, sondern Tunika und Umhang. Sie spürte seinen starken, warmen Körper. Sie ließ sich ein paar Schritte von ihm führen, aber als sie sich lösen wollte, zog er sie fester an sich, und sein Gesicht war plötzlich sehr nahe. Ihre Lippen trafen sich flüchtig im Dunkeln, ehe sie sich ihm entzog.
    »Nein«, bat sie flehend, »nein, Aeneas… nicht du auch noch.«
    Er gab sie nicht sofort frei, sondern hob den Kopf und sagte leise: »Seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe, Kassandra, liebe ich dich, und ich dachte, daß dir das - daß dir das nicht ganz unangenehm ist.«
    Kassandra sagte mit zitternder Stimme: »Wenn es anders gewesen wäre …, aber ich habe Keuschheit gelobt, und du bist mit meiner Schwester verheiratet.«
    »Weder ich noch Kreusa haben das entschieden«, sagte Aeneas leise, »wir sind nach dem Willen deines und meines Vaters verheiratet worden. «
    »Trotzdem, es ist so«, erwiderte Kassandra, »ich bin nicht Helena und halte mich an ein Gelöbnis…« Aber sie legte den Kopf an seinen starken Arm. Sie fühlte sich schwach, als trügen ihre Beine sie nicht mehr.
    Aeneas sagte ruhig: »Ich glaube, es wird zu viel von Ehre und Pflicht gesprochen. Warum sollte Helena Menelaos treu bleiben, denn er hat sie enttäuscht? Sind wir nur auf dieser Welt, um die Pflichten gegenüber unserer Familie zu erfüllen? Geben die Götter uns das

Weitere Kostenlose Bücher