Die Feuer von Troia
habe Hektors Sohn geboren. Ich bitte dich, laß sie gehen, und wenn sie es nicht freiwillig tut, treibe sie mit der Peitsche aus dem Haus! Diese Frau war immer nur ein Fluch für Troja.«
Paris sprang auf: »Wenn du Helena vertreibst, gehe ich mit ihr!«
»Dann geh!« rief Andromache heftig. »Auch das wäre ein Segen für unsere Stadt! Du bist nicht weniger ein Fluch als sie! Dein Vater hat recht gehandelt, als er dich nach deiner Geburt aussetzen ließ!«
»Sie ist von Sinnen«, brummte Deiphobos, »Helena wird uns nicht verlassen, solange ich lebe. Die Göttin hat sie uns geschickt. Und sie soll unter keinem anderen Dach Zuflucht suchen müssen, solange meine Brüder und ich leben.«
Priamos blickte in die Runde. »Was soll ich tun?« fragte er halblaut. »Meine Königin und die Gemahlin meines Hektors haben gesagt…«
»Sie muß gehen!« schrie Andromache. »Wenn sie hierbleibt, werde ich Troia noch heute verlassen. Und ich fordere alle Frauen des königlichen Hauses auf, mit mir zu gehen. Sollen wir mit der verfluchten Frau unter einem Dach leben, die unsere Stadt in den Schmutz gezerrt hat?«
»Die Mauern Troias stehen fest«, sagte Paris, »noch ist nicht alles verloren.« Erging zu Andromache, griff nach ihrer Hand und führte sie an seine Lippen.
»Ich bin dir nicht böse, arme Andromache. Du bist vor Leid außer dir, und das ist kein Wunder. Ich verspreche dir, Helena wird dir nichts nachtragen.«
Andromache riß sich von Paris los.
»Frauen von Troia, ich wende mich an euch! Verlaßt dieses zum Untergang verurteilte Haus, das der falschen Göttin Schutz gewährt hat, die uns alle in Elend und Sklaverei bringen wird…« Ihre Stimme klang schrill und unbeherrscht. Sie griff nach einer Fackel und schrie: »Folgt mir, Frauen von Troia … «
Priamos erhob sich von seinem Thron und rief mit Donnerstimme: »Genug! Wir haben schon genug Sorgen! Mein Kind«, sagte er zu Andromache, »ich verstehe deinen Schmerz, aber ich bitte dich, setz dich und höre auf uns. Nichts wäre gewonnen, wenn wir Helena vertreiben. Krieger sind im Kampf gefallen schon lange, ehe Hektor geboren war - oder ich.« Er streckte die Arme aus. Andromache zögerte und sank dann schluchzend an seine Brust. Hekabe trat zu ihr und schloß sie in die Arme.
»Friede«, sagte sie ernst, »wir müssen Troilos beklagen und begraben, bevor die Sonne aufgeht. Ihr Frauen, bringt all euren Schmuck, damit wir Hektors Leiche freikaufen. «
Kassandra folgte den Frauen, die sich um den Leichnam von Troilos versammelten, und fragte sich, ob Andromache recht gehabt hatte. Als einzige Frau folgte Andromache Hekabes Aufforderung nicht. Sie blieb zu Füßen des Königs sitzen und rief verzweifelt:
»Ich habe nicht einmal die Leiche!« Dann rief sie Hekabe nach: »Laß nicht zu, daß Helena Troilos berührt, Mutter! Du kennst doch die alte Geschichte: Eine Leiche beginnt zu bluten, wenn der Mörder sie berührt! - Und der arme Junge hat nur noch wenig Blut!«
9
Kassandra hörte den Sturm, der um den Palast heulte, und den Regen, der gegen die Mauern peitschte, während die Frauen des königlichen Hauses Troilos beklagten und für das Heldenbegräbnis vorbereiteten. Sie wuschen und bekleideten die Leiche, bedeckten sie mit kostbaren Spezereien und verbrannten Räucherwerk, um den Geruch des Todes zu vertreiben. Nach Mitternacht würden die Krieger kommen und bis zum Morgengrauen die Totenwache halten. Ein Sänger pries die Schönheit und Tapferkeit des toten jungen Helden und sang davon, daß er gefallen war, weil der Kriegsgott ihn wegen seiner Schönheit begehrte und die Gestalt des Achilleus angenommen hatte, um ihn zu sich zu holen. Als die Ballade zu Ende war, rief Hekabe den Sänger zu sich und schenkte ihm einen Ring als Erinnerung an die edle Totenklage. Eine der Frauen reichte ihm einen Becher mit heißem, gewürztem Wein. Auch Helena hatte sich einen Becher geben lassen, kam damit zu Kassandra und setzte sich neben sie.
»Wenn du nicht mit mir gesehen werden willst, suche ich mir einen anderen Platz«, sagte sie, »aber heute scheine ich bei keiner der Frauen willkommen zu sein. « Ihr Gesicht wirkte hager, sogar abgezehrt und blaß - sie hatte seit dem Tod ihrer Kinder Gewicht verloren, und Kassandra fielen die grauen Strähnen in den goldenen Haaren auf.
»Nein, bleib hier«, sagte Kassandra, »ich glaube, du weißt, daß ich immer deine Freundin sein werde.«
»Trotzdem«, sagte Helena, »mein Angebot war aufrichtig gemeint.
Weitere Kostenlose Bücher