Die Feuer von Troia
Ich kehre zu Menelaos zurück. Vermutlich wird er mich umbringen, aber vielleicht habe ich die Möglichkeit, noch einmal meine Tochter zu sehen, bevor ich sterbe. Paris glaubt, wir werden noch Kinder bekommen, und ich hatte es auch gehofft - aber dazu ist es zu spät. Ich glaube, er wollte, daß unser Sohn nach uns in Troia herrscht. «
Sie sah Kassandra fragend an, und Kassandra nickte in dem erschreckenden Gefühl, daß sie mit ihrer Zustimmung sich mit dem Untergang abzufinden schien.
In den letzten Jahren hatte sie sich an dieses Gefühl gewöhnt und wußte, wie albern es war. Schuld, wenn es eine Schuld geben mußte, war nur die Sache der Götter - oder der Kräfte, die die Götter dazu brachten, so zu handeln, wie SIE es taten. Kassandra hob den Becher, sah Helena an und trank. Augenblicklich spürte sie die starke Wirkung des schweren Weins. Sie hatte wenig gegessen. Helena schien das gleiche zu denken wie sie, denn sie sagte: »Ich frage mich, ob es klug von der Königin ist, diesen schweren Wein unverdünnt zu reichen, während wir vor Trauer alle halb von Sinnen sind. Bald werden die Frauen völlig betrunken sein. «
»Das ist keine Frage der Klugheit, sondern der Sitte«, sagte Kassandra, »würde meine Mutter nicht den besten Wein auftragen lassen, würde man an ihrer Liebe zu Troilos und an der Achtung vor dem Toten zweifeln.«
»Merkwürdig«, meinte Helena .nachdenklich, »wie die Menschen über den Tod denken oder sich weigern, darüber nachzudenken. Paris zum Beispiel…, seit unsere Kinder gestorben sind, scheint er zu glauben, daß die Götter vielleicht ihr Leben als Opfer angenommen haben und uns verschonen.«
»Einen Gott, der die Unschuldigen als Opfer annehmen würde, um die Sünden der Schuldigen zu vergeben, könnte ich nicht verehren. Und doch gibt es Völker, die an Götter glauben, die das Blut Unschuldiger als Opfer annehmen«, sagte Kassandra. Beinahe flüsternd fügte sie hinzu: »Vielleicht ist das eine Vorstellung, die die Götter - oder Dämonen - allen Männern in den Kopf gesetzt haben. Hat Agamemnon nicht die eigene Tochter auf dem Altar der Jungfräulichen Göttin geopfert und damit um einen günstigen Wind gefleht, der seine Flotte nach Troia bringen sollte?«
»So ist es«, bestätigte Helena leise, »obwohl Agamemnon nichts mehr davon hören will. Er behauptet, seine Frau - meine Schwester - habe das Opfer verlangt, und es sei ein Opfer für ihre Göttin gewesen. Die Achaier fürchten die alten Göttinnen und sagen, sie seien verrucht. Die tapfersten Männer fliehen entsetzt vor den Mysterien der Frauen.«
Kassandras Blick wanderte durch den schwach erleuchteten Raum, wo die Frauen tranken, in kleinen Gruppen beisammen saßen und sich unterhielten.
»Ich wünschte, wir könnten den Achaiern jetzt irgendwie etwas von diesem Entsetzen einflößen. « Sie dachte daran, wie sie in Trance oder nur im Traum Achilleus in seinem Zelt heimgesucht hatte. Der Gedanke daran ließ sie überlegen, ob sie vielleicht immer noch auf diese Weise Zugang zum Geist des Achaiers habe. Sie würde es jedenfalls bei der ersten Gelegenheit versuchen. Stumm hob sie den Becher und trank. Helena folgte ihrem Beispiel, und ihre Blicke trafen sich über dem Rand der Becher.
Plötzlich wehte ein Windstoß durch den Raum. In der geöffneten Tür stand Andromache und hielt eine rauchende Fackel in der Hand. Die langen Haare tropften, das Gewand und der Umhang waren regennaß. Sie kam wie ein Geist durch den Raum und sang leise ein Klagelied. Dann beugte sie sich über Troilos und drückte ihm einen Kuß auf die blasse Wange.
»Leb wohl, lieber Bruder«, sagte sie mit hoher, scharfer Stimme, »du gehst dem größten aller Helden voran, um den Göttern von seiner ewigen Schmach zu berichten.«
Kassandra eilte zu ihr und sagte leise, aber hörbar: »Eine Schmach, die dem Tapferen angetan wird, ist nur die Schmach dessen, der das Verbrechen begeht, und nicht die des Opfers.« Aber Hektor hatte bereitwillig gegen Achilleus gekämpft und das Spiel gespielt, bei dem nur einer gewinnen konnte.
Er hat nur getan, was er sein Leben lang gelernt hatte.
Sie füllte den Becher mit dem gewürzten Wein; er war jetzt noch schwerer, noch weniger verdünnt als vorher, denn der Krug war fast leer. Vielleicht war es gut so. Andromache würde bald einschlafen, und der Schlaf würde den Schmerz lindern, wenn auch nicht die Trauer. Sie drückte Andromache den Becher in die Hand und roch an ihrem Atem, daß Andromache
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