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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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getrunken hatte - wo immer sie auch gewesen war.

    »Trink, Schwester«, sagte sie.
    »0 ja«, schluchzte Andromache, und die Tränen rannen ihr über das Gesicht, »mit dir bin ich nach Troia gekommen, als wir noch Mädchen waren. Du hast mir auf dem langen Weg so viele Geschichten darüber erzählt, wie tapfer und hübsch er ist. Als mein Kind geboren wurde, hast du es im Arm gehalten. Du bist meine beste Freundin.« Sie umarmte Kassandra, klammerte sich haltsuchend an sie. Kassandra erkannte, daß Andromache bereits betrunken war. Auch bei ihr war der Wein nicht ohne Wirkung geblieben, und sie spürte Andromaches Ruhelosigkeit und Verzweiflung.
    Andromache beugte sich noch einmal hinunter, um den toten Troilos zu küssen. Sie sagte zu Hekabe: »Du hast Glück, Mutter, daß du weinen und seinen Leichnam schmücken kannst. Mein Hektor liegt unbetrauert, unbegraben im Regen und verwest. « »Nicht unbetrauert«, widersprach Kassandra sanft, »wir trauern alle um ihn. Sein Geist wird deine Tränen und deine Klagen hören. Und es ist gleich, ob sein Körper hier liegt oder dort bei den Pferden des Achilleus.« Die Stimme versagte ihr. Sie dachte an einen Tag bald nach Andromaches Ankunft in Troia, als Hektor ihr verboten hatte, Waffen zu tragen, und drohte, sie zu schlagen …
    Sie hatte versucht, Andromache mit ihren Worten zu trösten, aber nun fragte sie sich, ob sie nicht alles noch schlimmer gemacht hatte, denn Andromaches Augen blickten kalt und waren tränenlos. Kassandra führte sie zur Bank, aber als Andromache Helena sah, wich sie zurück. Sie entblößte die Zähne, das Gesicht verzerrte sich zu einer schrecklichen maskenhaften Grimasse, und der Kopf wirkte dadurch beinahe wie ein Totenschädel.
    »Du hier? Spielst du Trauer?«
    »Die Götter wissen, daß ich nicht spiele«, erwiderte Helena ruhig, »aber wenn es dir lieber ist, gehe ich… . . Du hast mehr Recht, hier zu sein.«
    »Ach Andromache«, sagte Kassandra, »sag so etwas nicht! Ihr seid beide als Fremde nach Troia gekommen und habt hier eine Heimat gefunden. Du hast durch die Hand der Götter deinen Ehemann verloren und Helena ihre Kinder. Ihr solltet euer Leid teilen und euch nicht gegeneinander wenden und zerfleischen. Ihr seid beide meine Schwestern, und ich liebe euch.« Mit einer Hand zog sie Helena an sich und legte einen Arm um Andromache.
    »Du hast recht«, flüsterte Andromache, »wir sind alle in IHRER Hand und hilflos.« Sie zog die Nase hoch und trank den Becher leer. Mit unsicherer Stimme sagte sie: »Schwester, wir sind beide Opfer in diesem Krieg. Die Göttin gebe, daß dieser Wahnsinn der Männer uns… uns nicht trennt.« Die Zunge gehorchte ihr nicht mehr. Sie weinten beide, als sie sich umarmten. Hekabe trat zu ihnen und legte die Arme um alle drei. Auch sie weinte.
    »So viele tot! So viele tot! Deine prächtigen Kinder, Helena! Meine Söhne! Wo ist Hektors Sohn, mein letztes noch lebendes Enkelkind?«
    »Nicht das letzte, Mutter. Hast du vergessen? Kreusa und ihre Kinder sind in Sicherheit. Ihnen droht keine Gefahr«, erinnerte Kassandra ihre Mutter. »Der Wahnsinn des Achilleus und das achaische Heer können ihnen nichts anhaben.«
    Andromache sagte: »Astyanax ist zu alt für die Frauengemächer. Ich kann ihn nicht einmal trösten oder versuchen, Trost darin zu finden, daß ich in seinem Gesicht den Vater sehe.« Aus ihrer Stimme sprach mehr Trauer als aus den Tränen.
    »Als ich… die Kleinen verloren hatte«, sagte Helena gequält, »brachten sie Nikos, um mich zu trösten. Ich werde dir deinen Sohn holen, Andromache.«
    »Die Götter segnen dich«, rief Andromache.
    Kassandra sagte: »Ich bringe dich in deine Gemächer. Du solltest nicht hier unter den betrunkenen Frauen mit ihm zusammen sein.« »Ja, ich komme mit Nikos in deine Gemächer«, stimmte Helena zu. »Du hast immer noch deinen Sohn, und das ist das größte Geschenk. «
    Die vom Wein und vom Klagen erschöpften Frauen verließen in kleinen Gruppen den Raum und gingen zu Bett. Nur Hekabe und Polyxena in ihrem Priesterinnengewand nahmen an Kopf und Füßen des aufgebahrten Troilos den Platz zur Totenwache ein, bis die Krieger kamen, um ihn zu den Begräbnisriten abzuholen, die einem Helden zukamen, der im Kampf gefallen war. Kassandra überlegte, ob sie ebenfalls bleiben sollte. Aber man hatte sie nicht dazu aufgefordert, nicht einmal dazu, den Raum, in dem der Tote aufgebahrt wurde, auszuräuchern, wie es Aufgabe einer Priesterin war. Sie wußte, Andromache

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