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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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höre, ist er krank gewesen.«
    »Es war nichts Ernsthaftes - nur eine dieser kleinen Unpäßlichkeiten, die Kinder im Sommer bekommen. Er wird in ein paar Tagen wieder gesund sein. Aber womit kann ich dir dienen, Herrin?« 
    »Ich komme nicht meinetwegen. Es geht um meinen Bruder Paris. Er ist von einem Pfeil getroffen worden und liegt im Sterben. Du besitzt große Heilkünste. Wirst du kommen?«
    Oenone zog die Augenbrauen hoch. Schließlich sagte sie: »Prinzessin Kassandra, dein Bruder ist für mich an dem Tag gestorben, als ich den Palast verließ und er seinen Sohn nicht anerkannte. Er war für mich in all den Jahren tot, und ich habe nicht den Wunsch, ihn jetzt ins Leben zurückzuholen.«
    Kassandra wußte im Innern, daß sie mit dieser Antwort hätte rechnen sollen. Sie hatte kein Recht hierherzukommen und Oenone um etwas zu bitten. Sie senkte den Kopf und erhob sich.
    »lch verstehe deine Bitterkeit«, sagte sie. »Und doch - er muß sterben. Kann dein Zorn noch immer so groß sein - selbst im Angesicht des Todes?«
    »Der Tod? Glaubst du nicht, daß es der Tod für mich war, als ich ohne ein Wort davongejagt wurde, als sei ich eine troianische Straßendirne? Und in all den Jahren hatte er kein einziges Wort für seinen Sohn übrig. Nein, Kassandra. Du fragst, ob mein Zorn so groß ist? Du hast keine Ahnung von meinem Zorn, und ich bin sicher, es ist auch besser so. Geh in den Palast zurück und trauere um deinen Bruder, wie ich all diese Jahre um ihn getrauert habe.« Leise fügte sie hinzu: »Dir zürne ich nicht, Herrin. Du und deine Mutter, ihr seid immer freundlich zu mir gewesen.«
    »Oenone, wenn du nicht um Paris’ oder meinetwillen kommen willst«, bat Kassandra, »kommst du nicht um meiner Mutter willen? Sie hat so viele ihrer Söhne verloren … « Sie schwieg und biß sich auf die Lippen; sie wollte vor Oenone nicht in Tränen ausbrechen.
    »Es würde ohnehin nichts ändern …« begann Oenone. »Die Stadt fällt bald in die Hände eines zornigen Gottes - es überrascht dich, daß ich das weiß? Auch ich bin eine Priesterin, Herrin. Geh nach Hause und sorge für dein Findelkind - wenn möglich, bringe es in Sicherheit. Es wird nicht mehr lange dauern. Ich wünsche der spartanischen Königin nichts Schlechtes, aber ich kann für Paris nichts tun. Als er mich verließ, hat er Vater Skamander erzürnt, und er ist auch Poseidon.«
    Es war Kassandra noch nie in den Sinn gekommen, daß der Flußgott Skamander eine Verkörperung Poseidons, des Erderschütterers, war. Paris hatte die Priesterin des Flußgottes im Stich gelassen und ihr Helena vorgezogen, die Aphrodite, die Tochter des Zeus, ihm versprochen hatte.
    Paris hatte sich angemaßt, in einem Streit der Unsterblichen den Richter zu spielen. Er hatte die Götter seines Landes verraten, um der achaischen Aphrodite zu dienen.
    »Mich trifft keine Schuld an seinem Tod,« fuhr Oenone fort, »ihn erwartet sein Schicksal, wie unser Schicksal uns erwartet. Deine Götter mögen dich schützen, Prinzessin Kassandra.« Sie hob die Hand in einer segnenden Geste, und Kassandra ging davon wie eine Bäuerin nach einem Gespräch mit einer Königin.
    Für den Rückweg brauchte sie nicht so lange. Als sie den Palast erreichte, hörte sie Klagegeschrei. Paris war tot; sie hatte nichts anderes erwartet. Trotz ihrer ermutigenden Worte zu Helena war sie sicher gewesen, daß er die Entzündung nicht überleben würde. Kassandra stieg auf das Dach; von dort hatte man einen weiten Blick über die Ebene, wo die Achaier sägten und hämmerten. Sie sah hinter dem Gerüst die Umrisse des Gebildes: unverkennbar stand dort riesig und schwerfällig ein großes hölzernes Pferd.
    Das ist also ihr Altar,  dachte sie.  Ein Altar in der Gestalt Poseidons, des Erderschütterers. Glauben die Achaier, dieses Pferd wird die Mauern Troias zum Einsturz bringen? Oder soll es den Gott rufen, damit ER es für sie tut? Wie kindisch.
    Plötzlich begann sie heftig zu zittern, und obwohl es noch warm war, hüllte sie sich in ihren Mantel. Das Pferd - dieser Altar für den Gott erfüllte sie mit Entsetzen, obwohl sie nicht wußte, warum.

14
    Noch vor den Begräbnisfeierlichkeiten für Paris verlangte Deiphobos von Priamos den Oberbefehl über die troianischen Truppen. Als Priamos ablehnte, fragte er: »Welche andere Wahl bleibt dir? Gibt es in Troia einen anderen, außer vielleicht Aeneas? Und er entstammt nicht dem königlichen Haus, er ist nicht einmal gebürtiger Trojaner.«
    Priamos

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