Die Feuer von Troia
»Also das ist vorbei. Gehen wir jetzt hinunter und nehmen wir uns wie Paris das hölzerne Pferd vor. Fangen wir mit einem Faß Teer oder Harz an und ein paar Feuerpfeilen. Wir machen mit dem Spuk kurzen Prozeß. Wie findest du das, meine Gemahlin?«
Helena erwiderte kaum hörbar: »Du mußt tun, was dir am besten erscheint, mein Gemahl.«
Sie wirkte unterwürfig und still wie eine troianische Soldatenfrau und ohne die geringste Spur der ihr von der Göttin verliehenen Schönheit, die alle inzwischen für selbstverständlich hielten. Auch ihre Worte klangen unterwürfig; sie hätte diese Antwort auch Paris geben können. Aber Kassandra fiel auf, daß Helena mit diesem Gehorsam Deiphobos verspottete. Deiphobos schien es nicht zu merken. Er sah sie zufrieden und wohlgefällig an. Jetzt besaß er alles, wonach er sich gesehnt hatte: die Frau von Paris und den Oberbefehl. Wenn die Hochzeit wenigstens einen Menschen glücklich gemacht hat, ist es immerhin schon etwas.
Von Andromache hatte man das nicht verlangt; sie durfte um Hektor trauern. Warum hatte man dieses Recht nicht auch Helena eingeräumt?
Aber Helena zeigte mit ihrem Gehorsam allen Frauen, daß sie sich in ihr Schicksal fügen konnten wie die Königin von Sparta; die Frauen sollten dankbar sein und sie bewundern.
Deiphobos versammelte seine Männer und besprach kurz die Angriffspläne mit ihnen. Kassandra beobachtete, wie Helena sich von Deiphobos verabschiedete und ihn bat, vorsichtig zu sein - genau dasselbe hatte sie bei Paris getan.
Hatte Helena sich inzwischen so sehr daran gewöhnt, dem Willen eines Mannes zu gehorchen, daß es für sie keine Rolle spielte, wer dieser Mann war? Oder betäubte die Trauer sie so sehr, daß ihr alles gleichgültig war? Hätte ich einen Mann geliebt, wie sie Paris geliebt hat, und er wäre von mir gerissen worden - man sehe sich Andromache an! Ich liebe Aeneas, aber wenn er mich verläßt, bleibe ich, was ich bin. Wenn er sterben und nicht mich verlassen würde, um zu Kreusa zurückzukehren, würde ich seinen Tod über alle Maßen betrauern. Aber es würde mich nicht so völlig zerstören, wie Hektors Tod Andromache zerstört hat.
Trauerte Andromache um Hektor oder trauerte sie nur um ihren Rang als Hektors Gemahlin?
Die Streitwagen fuhren donnernd aus dem Tor und griffen die Achaier an, die das Gerüst um das riesige Holzpferd entfernten. Die Männer flohen, und einige gerieten unter die Räder der Streitwagen. Ein eigenartiger bitterer Geruch, den Kassandra nicht kannte, lag plötzlich in der Luft. Die Bogenschützen schossen mit Feuerpfeilen auf das Pferd, aber sie konnten es nicht in Brand setzen. Agamemnons Männer griffen plötzlich an. Die Troianer wehrten sich nach besten Kräften, mußten aber zur Mauer zurückweichen. Man öffnete das Tor, um sie einzulassen; dabei wurde erbittert gekämpft, um Agamemnons Truppen und die Myrmidonen daran zu hindern, in die Stadt einzudringen. Einigen gelang es trotzdem, aber man erschlug sie hinterher in den Straßen, und es gelang den Troianern, das Tor zu schließen.
»Es sieht ganz so aus, als gehe die Belagerung weiter«, erklärte Deiphobos. »Wir müssen die Achaier unter allen Umständen aus der Stadt heraushalten, und das bedeutet, das Tor darf unter keinen Umständen mehr geöffnet werden. Leider versperrt uns das hölzerne Ungeheuer die Sicht, und wir können nicht mehr so gut beobachten, was in ihrem Lager und auf dem Schlachtfeld geschieht. Wir können es nicht einmal verbrennen. Sie haben es mit etwas getränkt, vielleicht mit einer Mischung aus Essig und Alaun, und deshalb ist es unbrennbar. Vielleicht war es ein Fehler, das Gerüst in Brand zu setzen, denn das hat ihnen gezeigt, was wir als erstes versuchen würden zu tun.«
»Wäre es keine Gotteslästerung, das Pferd zu verbrennen«, fragte Hekabe, »wenn es unseren Gott Poseidon verkörpern soll?«
»Ich würde es am liebsten auf der Stelle verbrennen und mich hinterher mit dem Erderschütterer aussöhnen«, sagte Deiphobos. »Aber es brennt nicht mehr.«
»Wir werden es doch sicher irgendwie anzünden können?« fragte Priamos.
»Nun ja, mein König, ich werde bestimmt mein Bestes versuchen«, erwiderte Deiphobos. »Wir werden es mit Pechpfeilen beschießen und hoffen, daß genug von dem Zeug kleben bleibt. Ich überlege, ob sie das Ding gebaut haben, um uns zu beschäftigen, damit wir nicht merken, was sie sonst noch vorhaben. Vielleicht versuchen sie, von der Landseite einen unterirdischen Gang
Weitere Kostenlose Bücher