Die Feuer von Troia
energisch, »ich will deine Kinder sehen, ehe ich sterbe.«
Das wirst du nie.
Kassandra wußte es plötzlich. Mit der Erinnerung an Phyllidas Kind auf ihrem Schoß kam das schmerzliche Wissen, daß Hekabe die Augen in dieser Welt für immer geschlossen haben würde, ehe sie ihr Enkelkind im Arm hielt.
Mir bleibt nur Bitterkeit und Verzweiflung.
»Sprechen wir nicht davon, Mutter. Wenn du eine Hochzeit willst, hast du ja Kreusa, um sie zu verheiraten, und Polyxena ist älter als ich und immer noch unverheiratet. Suche einen Mann für sie und mach dir meinetwegen keine Sorgen. Sag mir, wer ist Kreusas Zukünftiger?«
»Sie wird Aeneas, den Sohn von Anchises, heiraten«, antwortete Hekabe; »er ist so hübsch, daß man sagt, er sei wirklich ein Sohn der schaumgeborenen Aphrodite.«
»Sie ist eine Göttin, von der ich nichts weiß«, erklärte Kassandra, ehe sie sich an die Schöne in Paris’ Traum erinnerte. Ach ja, Aphrodite war die Göttin der Liebe und der Schönheit.
»Wenn sein Vater behauptet, der Geliebte der Aphrodite zu sein, wäre die Göttin meiner Meinung nach zornig auf ihn«, sagte Kassandra, »ich muß dieses Wunder von einem Mann sehen.«
»Nun, Kreusa ist mit ihm zufrieden und dein Vater auch«, sagte Hekabe, »und ich wäre in meiner Jugend mit einem solchen Gemahl mehr als glücklich gewesen.« Etwas ängstlich bat sie Kassandra: »Bitte versuche bei dieser Hochzeit nicht wieder ein Unheil zu prophezeien, Liebes. Es schafft so viel Unruhe unter den Leuten.«
Glaubt sie, ich prophezeie Dinge, weil mir das gefällt? dachte Kassandra, in der der Zorn aufstieg. Aber ihre Mutter wirkte so besorgt, daß der Zorn schnell verging. Sie küßte sie noch einmal und sagte: »Ich werde bestimmt versuchen, kein Unheil zu sehen. Wenn die Götter freundlich sind, werde ich vielleicht etwas Besseres voraussagen können.«
»Die Götter mögen es geben«, murmelte Hekabe fromm, »jetzt komm herein, Liebes. Ich habe dich sehr vermißt. «
Nach einem Monat im Haus des Sonnengottes wirkte alles im Palast kleiner und übertrieben prunkvoll, aber doch lieb und vertraut. Andromache trug für die Hochzeit ein flammend rotes Gewand. Sie eilte herbei, um Kassandra zu begrüßen. Inzwischen sah man überdeutlich, daß sie schwanger war. Sie watschelte, wie das bei Schwangeren oft der Fall ist, die den Oberkörper zurückbeugen, um das Gleichgewicht zu halten. Kassandra dachte an das schlanke junge Mädchen in Imandras Haus und wurde traurig. Aber Andromache umarmte sie fröhlich.
»Ich bin so glücklich, dich zu sehen! Ich wollte, du würdest heiraten und nach Hause kommen, damit wir zusammensein können! Stell dir vor, in einem Mond werde ich meinen Sohn in den Armen halten. «
»Wo ist Oenone? Sollte sie nicht bei uns sein? Eine schwangere Frau bei einer Hochzeit ist der Gast, der das meiste Glück bringt.«
»Sie ist nicht mehr schwanger«, sagte Andromache, »hast du es nicht gehört? Sie hat Paris vor vier Tagen einen Sohn geboren und liegt immer noch im Bett. Es war schrecklich für sie. Das arme Ding. Deine Mutter hat gesagt, sie war so eng, daß sie es hätte besser wissen müssen und kein Kind bekommen dürfen. Aber als ich sie fragte, wie Oenone es hätte verhindern sollen, hat sie es mir nicht verraten. Sie sagte, Hektor würde das nicht mögen. Oenone hat ihren Sohn Korythus genannt… Wenn Kreusa eine Schwangere auf ihrer Hochzeit haben möchte, muß sie sich mit mir begnügen. «
»Kreusa kann von Glück reden, dich unter ihren Gästen zu haben«, sagte Kassandra.
Andromache lächelte wie eine Katze am Sahneteller und sagte: »Ich hoffe, das findet sie auch.«
»Ich sollte gehen und Oenone besuchen«, sagte Kassandra. Andromache griff nach Kassandras Hand und zog sie mit sich die Treppe hinauf. »Das tust du besser nicht«, sagte sie, »sie war in letzter Zeit sehr eigenartig. Als ich zu ihr ging, hat sie nicht mit mir gesprochen. Sie sagte, ich sei eine Feindin ihres Mannes, weil Hector ihn weggeschickt hat. «
Sie gingen hinauf in die Gemächer, wo die Frauen die Braut ankleideten. Es war der schöne Raum mit den kretischen Stiertänzern an den Wänden, und Kassandra sagte: »Aber den Raum hat meine Mutter für Oenone machen lassen.«
»Sie wollte nicht hier bleiben«, sagte Andromache, »sie sagte, sie wolle nicht Tag für Tag hier liegen und auf das Meer hinaus blicken, das Paris von ihr weggetragen hat. Deshalb bestand sie darauf, in ein Zimmer auf der Rückseite des Palastes zu
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