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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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tatsächlich einmal die Braut des Gottes gewesen. Sie hatte einen Jungen geboren, der als Sohn Apollons galt.
    Als Kassandra das zum ersten Mal hörte, ärgerte sie sich; dieser offensichtliche Unsinn empörte sie.
    Ist Phyllida eine Närrin, die sich von einem ganz gewöhnlichen Verführer hat täuschen lassen? Oder hat sie eine Geschichte erfunden, um ein verbotenes Abenteuer zu bemänteln?  fragte sich Kassandra, denn es war den Jungfrauen des Gottes verboten, etwas mit Männern zu haben; man wachte sorgsam über sie. Es war ihnen nicht erlaubt, Besucher zu empfangen, Geschenke anzunehmen oder auch nur mit den eigenen Brüdern oder Vätern zusammenzutreffen - es sei denn in Anwesenheit einer der Erzieherinnen, die die Jungfrauen des Sonnengottes behüteten und versorgten.  Wenn ich wünschte, die Braut eines Sterblichen zu sein , dachte sie,  würde mein Vater mit Freuden einen Mann für mich suchen.
    Manchmal lag Kassandra halb wach und hörte die unverkennbare Stimme des Gottes, in der ER sie gerufen hatte - ein strahlender Unsterblicher, der manchmal mehr als nur ein Mann war. Öfter träumte sie, sie vergehe in den Armen ihres Gottes; eine übermenschliche Ekstase erfaßte und überflutete alle ihre Sinne; den Gesprächen der anderen Mädchen (aus Scheu beteiligte sie sich allerdings kaum an solchem Klatsch) entnahm sie, daß sie nicht als einzige mit solchen Träumen beschenkt wurde.

    Als eine der Jungfrauen einmal ihren letzten Traum mit allen sinnlichen Einzelheiten erzählte, die nach Kassandras Meinung nur schwärmerischer Phantasie entspringen konnten, sagte sie: »Wenn du so oft davon träumst, bei einem Mann zu liegen, Esiria, warum schickst du dann nicht nach deinem Vater und bittest ihn, dich zu verheiraten? Kannst du nicht etwas anderes finden, womit deine Gedanken sich beschäftigen und etwas Sinnvolleres, um darüber zu reden?«
    Du bist ja nur eifersüchtig, weil ER nicht einmal versucht, im Traum bei dir zu liegen«, erwiderte Esiria bissig, »und wenn ER es täte, würdest du IHN zurückweisen?«
    Ein eigenartiger Schauer überlief Kassandra.
    »Wenn ER versuchen sollte, bei mir zu liegen«, erwiderte sie, »würde ich ganz sicher sein wollen, daß es wirklich der Gott ist und nicht irgendein lüsterner Mann, der darauf aus ist, eine dumme, gutgläubige Frau oder ein gefühlsbetontes Mädchen zu täuschen, die einen Lüstling für den Stellvertreter eines Gottes hält. Ich weiß, es gibt Männer hier im Tempel, denen zuzutrauen ist, daß sie ein dummes Mädchen so ausnützen. Oder glaubst du, Priester sind Eunuchen, weil sie ein Keuschheitsgelübde abgelegt haben?«
    Esiria sagte nichts mehr, und Kassandra ließ die Sache auf sich beruhen. Aber als die Frauen am nächsten Tag Wasser am Brunnen holten, ging sie zu Phyllida und bat sie, ihr Kind sehen zu dürfen. Wie alle Mütter war die junge Frau (sie war nicht einmal so alt wie Kassandra) nur allzu gern bereit, ihren jungen vorzuführen.
    Er war wirklich hübsch, hatte große blaue Augen unter langen Wimpern und einen goldenen Lockenschopf, der es leicht machte zu glauben, daß er tatsächlich ein Kind des Sonnengottes war. Kassandra bewunderte und küßte ihn. Dann fragte sie Phyllida in einem angebracht ehrfürchtigen Ton: »Woher wußtest du, daß der Gott zu dir gekommen war?«
    »Zuerst wußte ich es nicht«, sagte Phyllida, »ich dachte, es sei ein Mann in der Maske des Gottes, und ich öffnete den Mund, um nach einer der Erzieherinnen zu rufen. Aber dann - hast du jemals die Stimme des Gottes gehört, Tochter des Priamos?«
    Kassandra mußte schlucken, als sie sich an diese Stimme erinnerte. Sie begann: »lch habe gehört…«, konnte aber nicht weiter sprechen.
    »Wenn du es erlebst, wirst du es wissen«, sagte Phyllida und schwieg.
    Kassandra sah wieder den kleinen Jungen an und sagte: »Er ist schön. Darf ich ihn einmal halten?«
    »Natürlich.« Das Kind war eingeschlafen. Sein kleiner Mund, der wie eine halb geöffnete Rose war, hing immer noch an der Brust seiner Mutter. Phyllida legte den Kleinen Kassandra in die Arme. Er bewegte sich und weinte leise. Aber sie wiegte ihn, wie sie es bei ihrer Mutter gesehen hatte, und er wurde wieder still. Sein feuchtes, weiches Gewicht in ihren Armen unterschied sich von allem, was sie kannte. Selbst bei den Amazonen hatte sie nie ein so kleines Kind gehalten. Sie beugte sich über ihn und berührte die weiche Haut mit ihren Lippen. Sie fühlte sich wie Rosenblätter an. Eine grenzenlose

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