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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Zufriedenheit überkam sie; aber sofort schien eine Wolke die Sonne zu verdecken, und ein kalter Wind wehte, obwohl sie immer noch im warmen, hellen Hof in der Sonne saß, die sie beinahe verbrannte, so daß sie einen Zipfel ihres Schleiers über das Kind zog, damit die Strahlen nicht seinen Augen schadeten oder die Haut verbrannten. Sie erkannte die Dunkelheit der Vision und wartete reglos auf das, was sie nicht vermeiden konnte.
    Leid und Qual waren das Wesentliche. Irgendwie glitt sie durch die Zeit und wußte, daß seit diesem ruhigen Augenblick Jahre vergangen waren. Das Kind an ihrer Brust war ihr eigenes Kind. Das Köpfchen war dunkel und gelockt, und selbst als die eigenartige Woge des Glücks sie erfaßte, wurde sie von Verzweiflung überschattet - von der Erinnerung an den jetzigen Augenblick und von Zorn und Widerwillen. Die Vision war so stark, daß sie wie gelähmt dasaß. Dann wußte sie wieder, wo sie war. Wieder einmal war es ihr gelungen zu verhindern, daß sie in der dunklen Flut ertrank.
    Sie sah, daß Phyllida sie mit ihren großen kindlichen Augen angstvoll betrachtete, als sie der Mutter das kleine Kind wieder in die Arme legte. Phyllida flüsterte: »Du wirkst so fern und fremd, Kassandra. Man sagt, du kannst in die Zukunft blicken. Was hast du für mein Kind gesehen?« Und da Kassandra schwieg, fragte sie flehend: »Du würdest mein Kind doch nicht verfluchen?«
    »Nein! Nein! Natürlich nicht, Kleines«, sagte Kassandra.
    »Wirst du es dann segnen, Tochter des Priamos?«
    Kassandra wollte sie beruhigen und suchte in sich die ferne Berührung der Göttin, um sich für einen Segen auf diese Macht zu stützen, aber sie hörte sich sagen: »Leider gibt es keinen Segen für ein trojanisches Kind, das in diesem unheilvollen Jahr geboren wird. Aber vielleicht wird Apollon, sein Vater, ihn segnen, da ich es nicht kann.« 
    Sie erhob sich schnell und ging davon. Phyllida sah ihr in stummer Bestürzung nach.

19
    Einige Tage später erschien ein Bote aus dem Palast mit Geschenken für den Tempel und einer Nachricht für Kassandra. »Dein Vater und deine Mutter bitten dich, zur Hochzeit deiner Halbschwester Kreusa nach Hause zu kommen.«
    »Ich muß um Erlaubnis bitten«, sagte Kassandra, aber die Erlaubnis wurde bereitwillig erteilt - vielleicht zu bereitwillig. Kassandra wußte, daß sie bei keiner anderen jungen Priesterin so schnell zugestimmt hätten. Sie wünschte aufrichtig, wie alle behandelt zu werden. Sie konnte es den Priestern und Priesterinnen aber nicht verübeln, daß sie den König von Troia nicht erzürnen wollten. Man bestand nur darauf, daß Kassandra, da sie noch keine volle Priesterin war und sich noch im Probejahr befand; von einer älteren Priesterin begleitet und beaufsichtigt wurde, wenn sie die Nacht im Haus ihres Vaters verbringen würde.
    Die Priesterin, die Kassandras Bitte angehört hatte, sagte: »Es liegt in deiner Hand, eine Gunst zu gewähren, Tochter des Priamos. Wen möchtest du als Begleiterin?«
    Kassandra war diese Art höfischer Intrige nicht ganz fremd. Wen immer sie auch wählte, es würde andere geben, die sich vielleicht übergangen fühlten. Um eine Wahl zu treffen, an der niemand etwas aussetzen konnte, entschied sie sich für die alte Charis, die sie im Haus des Gottes willkommen geheißen hatte. Auf Charis konnte keiner eifersüchtig sein.
    Sie kleidete sich in das festlichste der wenigen einfachen Gewänder, die sie bei sich hatte, und ging, begleitet nur von einem Tempelsklaven., mit der älteren Frau unauffällig durch die Straßen. Charis, die ihr ganzes Leben im Haus des Sonnengottes verbracht hatte, war trotzdem beeindruckt, als sie sich dem großen Palast des Priamos näherten und sagte wenig.
    Auch Kassandra war schweigsam, denn sie hatte von der Höhe herabgeblickt und wieder die dunklen Schiffe im Hafen gesehen, ohne zu wissen, ob sie tatsächlich dort lagen oder erst kommen würden.
    Hekabe kam in den Vorhof, um sie zu begrüßen. Kassandra beugte sich hinunter, um ihre Mutter zu umarmen - Hekabe war eine große Frau, aber Kassandra war inzwischen noch größer. Als Hekabe das Gesicht hob, um ihre große Tochter anzusehen, jammerte sie: »Du kannst doch nicht immer noch wachsen! Du bist ja größer als die meisten Krieger, Kassandra. Möglicherweise wird kein Mann sich um dich haben wollen -«
    »Was macht das schon, Mutter? Da ich nicht heiraten, sondern im Haus des Gottes leben soll …«
    »Das werde ich niemals dulden«, erwiderte Hekabe

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