Die Feuerinseln: Das Geheimnis von Askir 5 (German Edition)
ich jetzt erwachte, war ich lange zu Hause gewesen. Graue, roh gemauerte Steine bildeten die Wände, eine davon war halbrund und enthielt eine mit einem schweren Teppich abgedeckte Schießscharte. Das Bett war breit und schwer; ein Kamin, groß genug, einen Ochsen zu braten, beherrschte die südliche Wand, daneben stand auf einem Rüstgestell der Harnisch eines Ritters, auf seinem Schild die Rose von Thurgau. Die niedrige Tür, an der ich mir so oft den Schädel angeschlagen hatte, war offen, und neben meinem Bett stand ein junges Mädchen, das ich seit Jahrzehnten nur noch in meinen Träumen gesehen hatte.
»Roderic, ich befehle Euch, erwacht!«, rief Eleonora und lachte fröhlich. Sie zerrte an meiner Hand. »Kommt, Roderic, kommt mit mir und seht das Ende des ersten Akts.« Ich erhob mich und fand heraus, dass ich blaue Kleider trug. Blau war ihre Lieblingsfarbe, und als sie mir diese Kleider geschenkt hatte, war sie schon ans Bett gefesselt gewesen. »Kommt, Roderic, und schaut.«
Damit zog sie an meiner Hand, und wir standen unvermittelt auf dem Wehrturm des Osttors der Kronstadt. Es war Winter, dickes Eis bedeckte die Zinnen, und neben uns schlug ein Soldat gerade Eis von seinem Schild, auf dem das Wappen von Illian prangte.
Vor den Toren der Kronstadt lag verwüstetes Land. Was einst die Oststadt gewesen war, bestand nur noch aus rauchenden Ruinen. Dort in der Ferne, jenseits des Schussfeldes selbst der schwersten Armbrüste, standen Hunderte von Pfählen, Krähen flogen auf und hackten auf dem herum, was einst Menschen gewesen waren.
Dahinter erstreckte sich ein endlos großes Lager aus schwarzen Zelten: die Armee des Nekromantenkaisers.
Vor dem massiven Torhaus zu unserer linken Seite saßen drei schwer gewappnete Reiter auf ihren Streitrössern. Der rechte Reiter führte in Steigbügel und Hand die Fahne von Thalak. Hinter ihnen standen, mit schweren Seilen oder Ketten aneinander gebunden, Dutzende von ausgemergelten Gestalten, meist Frauen und Kinder. Vor ihren Füßen lag der Wassergraben der Stadt, zum Teil zugefroren. Im Eis waren tote Körper gefangen. Hinter den Gefangenen sah ich in Reih und Glied schwarz gewappnete Soldaten hinter hohen Turmschilden und mit langen Spießen stehen.
»Die Mauern der Kronstadt sind stark«, berichtete Eleonora. »Die Katapultsteine prallen an ihnen ab, unsere Speicher sind voll, und für jeden Tag, an dem sie uns belagern, sterben dort in diesen schwarzen Zelten Hunderte, wenn nicht noch mehr an Krankheit, Kälte oder Hunger. Ihre Verluste sind hoch, doch sie lassen uns dafür zahlen. Jeden Tag schieben sie Kinder und Frauen mit Lanzen vor sich her, treiben sie in den Wassergraben, füllen ihn mit den Körpern meiner Bürger, töten und schlachten zum Sport oder nur, um uns eine Schau des Grauens zu bieten. Und jeden Tag aufs Neue fordern diese drei Boten das Gleiche: Sie wollen die Königin, das pochende Herz Illians. Hört Ihr sie, wie sie nach Eleonora rufen? Dort, der in der Mitte, dieser Fürst, gleich wird er aus seiner Rolle vorlesen und die Herausgabe der Königin verlangen, im Austausch für den Frieden im Land. Er verspricht, die Stadt zu verschonen, sie nicht zu schleifen, die Belagerung aufzuheben und alle die am Leben zu lassen, die sie in der Kälte zusammengetrieben haben. Doch sie erwarten gar nicht, dass ihre Bedingung erfüllt wird, es ist ihnen nur ein Vorwand für das Morden.« Sie schaute zu mir hoch, in ihren Augen ein Blick, als ob ihr ein guter Scherz gelungen wäre. »Schaut, die Zugbrücke senkt sich, und die Tore der Stadt werden geöffnet. Seht die Überraschung auf den Gesichtern der Tyrannenboten. Und schaut, wer dort herausgeritten kommt!«
Auf einem weißen Schimmel und in einem Kleid, das jede Frau sich für ihren Hochzeitstag erträumte, ritt langsam eine zierliche Gestalt durch das Tor. Nur wenn man genau hinsah, sah man die Stangen, die sie im Sattel aufrecht hielten. Neben uns bückte sich der Soldat mit grimmigem Gesicht, nahm eine kostbare Armbrust hoch und stützte sie sorgsam auf die Gabel.
»Sie haben Ihre Überraschung überwunden«, sagte Eleonora. »Seht Ihr den Mann in der Mitte? Er ist der Kriegsfürst, der hier das Kommando hat. Jetzt winkt er die Priester herbei.«
Zwei hagere Gestalten in schwarzen Kutten traten neben die drei zu Pferde. Neben uns zog der Soldat eine Flasche, die das Zeichen Borons trug, aus seinem Wams. Sorgsam träufelte er den Inhalt auf einen Bolzen, der mit Runen nur so übersät war und
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