Die Feuerinseln: Das Geheimnis von Askir 5 (German Edition)
nicht nur von Angus’ wundersamer Verwandlung geprägt, sondern auch dadurch, dass sich unsere Passagierin plötzlich regte. Als ob sie nicht einen vollen Tag in der gleichen Position gesessen hätte, erhob sie sich plötzlich und unvermittelt. Ein Sprung, und sie stand mit einem Fuß auf der schmalen Reling, den anderen seitlich angewinkelt, die Hände in ungewöhnlicher Haltung erhoben. Dort führte sie einen langsamen, seltsam fremden und anmutigen Tanz auf, zog ihre Finger durch die Luft, schritt nach vorn oder beugte sich wie eine Schaustellerin übers Kreuz nach hinten, bis mir allein schon vom Zusehen der Rücken wehtat. All das tat sie so langsam, dass man genauer hinsehen musste, um zu bemerken, dass sie sich tatsächlich bewegte.
Natürlich glotzten wir sie alle an, mit Ausnahme von Zokora, die ihr nach wie vor wenig Beachtung schenkte. Aber da die Bewegungen unseres Gastes in etwa die Geschwindigkeit einer Schnecke besaßen, verlor sich unser Interesse daran bald. Es war nur etwas befremdlich, sie dort auf der Reling stehen zu sehen.
Beachtlich war nur, dass sie, so sehr das Schiff auch schwankte, niemals das Gleichgewicht verlor. Irgendwann sah ich hin, und sie saß wieder da wie zuvor.
Wir tauschten untereinander einen Blick. Es brauchte nicht laut ausgesprochen zu werden, wir waren uns einig: Diese Weltenscheibe bot schon einigen seltsamen Menschen Heimat.
»Ich kannte mal einen Priester, der viel davon hielt, seine Schritte absichtlich langsam zu vollführen«, erzählte mir Varosch, während er seine Armbrust reinigte und eine neue Sehne aufzog. »Er sagte, es erfrische den Geist, wenn man so bewusst schreitet, dass man des ganzen Vorgangs gewahr wird. Wie man die Ferse aufsetzt, wie der Druck sich beim Abrollen des Fußballens verteilt … Er ging immer baren Fußes und trug nie eine Sohle, weil er die Berührung des Bodens mit allen Sinnen genießen wollte.«
Ich dachte daran, was so alles auf den Straßen einer Stadt herumlag, und fragte mich, wie man es genießen konnte, Derartiges unter den Füßen zu spüren. Vielleicht ging er aber auch so langsam, um solche Stellen zu vermeiden. Das ergab dann wenigstens einen Sinn.
»Und?«, fragte ich mit eher mangelndem Interesse.
Varosch hob seine Armbrust an, spähte über sie hinweg und vergewisserte sich, dass der Kreuzbogen sicher und gut saß. »Ich war noch jung damals, und irgendwie beeindruckte es mich. Allerdings fragte ich mich, ob es ihm wirklich einen Nutzen brachte. Es dauerte eine Zeit, bis er mir auffiel. Der Nutzen, meine ich.«
»Und welcher war das?«, fragte ich wider Willen neugierig.
»Er wurde nie zu Besorgungen auf den Markt geschickt, noch belästigte man ihn mit dringlichen Arbeiten.«
Ich schmunzelte, dann hörte ich ein Schnauben hinter mir. Dort stand Zokora, ihr Gesicht neutral, doch hinter dem Schleier meinte ich, ein Funkeln in ihren Augen zu erkennen.
»Habt Ihr eben etwa gelacht?«, fragte ich erstaunt.
Eine fein gezeichnete Augenbraue hob sich. »Gab es denn einen Grund dazu?«
An diesem Tag wurde erneut gelost, wer das Essen zubereiten sollte. Ich zog tatsächlich das kürzere Stöckchen und machte mich alsbald an die Arbeit. Kochen war nicht meine Leidenschaft, aber ich war es durchaus gewohnt, mich selbst zu verköstigen. Noch hatten wir Fleisch, das nicht verdorben war, lange würde es in der Hitze allerdings nicht mehr halten, also schnitt ich als Erstes reichlich davon in den Topf. Ich warf einen Blick hinein, der Topf war noch ziemlich leer, also tat ich noch mehr hinzu, bevor ich nach den Kartoffeln griff. Serafine hatte sich das schweigend angesehen. Als ich Anstalten machte, einfach Wasser hinzuzugeben und den Topf an den Haken zu hängen, packte sie mich am Arm und schob mich aus der kleinen Kochstelle hinaus. »Euch lasse ich nicht mehr in die Nähe eines Topfs!«, meinte sie entschlossen. »Geht weg und stört mich nicht weiter!«
Ich ging weg und störte nicht weiter.
So ganz entspannt war die Reise letztlich doch nicht. Hin und wieder kamen uns Schiffe entgegen, die unter der Flagge des Turms oder der Schlange fuhren. Eines der letzteren hatte auch einen Trupp Soldaten an Bord. Es trug zudem noch einen weiteren Wimpel am Fahnenmast, von dem mir Serafine erklärte, dass er bedeutete, das Schiff sei in diplomatischem Auftrag unterwegs.
Wenn irgendjemand an Bord des Schiffs der Schlange wusste, wer ihnen da entgegenkam, zeigten sie es nicht, wir sahen nur kurz die gelangweilten Gesichter der
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