Die Feuerkrone: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Ziehen an meinem Nabel wird zu einem Dolch in meinem Bauch.
Sturm keucht. » Ich mag keinen Schmerz.«
Vornübergebeugt presse ich eine Hand gegen meinen Bauch, packe Sturm mit der anderen an der Schulter und schubse ihn vor mir her den Pfad entlang. » Nur… in… Bewegung… bleiben.« Kaum kann ich einen Fuß vor den anderen setzen. Ich möchte mich am liebsten auf dem Boden zusammenrollen und die Knie bis ans Kinn ziehen. Vielleicht ist es das, was Vater Nicandro meinte, als er sagte, meine Entschlossenheit würde auf die Probe gestellt.
Ich habe sehr viel Entschlossenheit.
Aber nach ein paar weiteren Schritten zieht sich der schraubstockartige Griff um meinen Bauch noch fester zusammen, und ich falle keuchend auf die Knie. Ich werde kriechen, wenn es sein muss. Ich werde…
» Für Euch ist es noch schlimmer, oder?«, fragt Sturm, der mich irritiert ansieht.
Ich nicke. Sprechen kann ich nicht.
Er starrt mich kurz an. Dann seufzt er, hockt sich hin, nimmt meinen Arm und legt ihn sich über die Schulter. Dann steht er auf und zieht mich auf die Beine. » Nur noch ein kleines Stück, Euer Majestät.«
Ich schlucke meine Überraschung hinunter und konzentriere mich darauf, die Füße zu bewegen, während er mich den Weg hinunterschleppt.
Als ich gerade glauben will, dass der Schmerz jetzt nicht mehr schlimmer werden kann, als mein Körper bebt und zittert und sich nicht zwischen Erbrechen und Ohnmacht entscheiden will, erreichen wir eine kleine Lichtung. In ihrer Mitte befindet sich noch ein verfallenes Gebäude, so rund wie ein Turm. Aber seine Spitze ist schon lange eingestürzt, und er hat jetzt nur noch die Höhe eines Menschen.
Ketten rasseln.
Ein blasses Gesicht, die Augen von der Farbe dunstigen Himmels, sieht hinter dem Turm hervor. Weißes Haar fällt von der Mitte seines sonnenverbrannten Kopfes herab bis zum Boden. Es ist der Torwächter.
28
E r hat das makellose Gesicht eines Animagus, aber seine gebeugten Schultern und seine wässrigen Augen lassen ihn so alt erscheinen wie die Berge selbst.
» Zwei!«, kreischt er. » Zwei Lehrlinge!« Er spricht die Lengua Classica nuschelnd, als hätte er den Mund voller Kieselsteine. » Ich muss ein Liebling Gottes sein«, sagt er, » dass ich so gesegnet werde.« Nun kommt er hinter dem Turm hervor und zeigt neben zerlumpten Kleidern unbestimmbarer Farbe auch ein Paar dreckiger Füße, die mit rostigen Ketten gefesselt sind. Die Haut an seinen Knöcheln hat sich geschwollen um das Eisen gelegt, sodass man kaum sagen kann, wo das eine endet und das andere anfängt. Ich muss den Blick abwenden.
» Wer seid Ihr?«, fragt er. » Schon seit Stunden fühle ich Euer Kommen. Oder schon seit Jahren?«
Ich versuche zu sprechen, aber es geht nicht. In mir ist nichts als Schmerz und dieses schreckliche Ziehen.
» Ach ja, das«, meint er und schnippt mit den Fingern. Plötzlich ist der Schmerz weg.
Erleichterung überkommt mich, und verzweifelte Dankbarkeit will über meine Lippen strömen, aber ich halte sie zurück. Vorsichtig richte ich mich auf.
» Seid Ihr der Torwächter?«, frage ich.
» Erst seid Ihr dran!«, ruft er und klatscht in die Hände. » Sagt mir, wer Ihr seid. Und kommt, kommt her. Lasst mich euch richtig ansehen.«
Ich mache einen Schritt nach vorn. Er springt auf mich zu, und instinktiv weiche ich zurück, aber seine Fußfesseln lassen ihn nicht bis zu mir gelangen. Wie ich jetzt erkenne, ist er an den Turm gekettet. Zornig schreit er auf und stampft mit dem Fuß auf wie ein unartiges Kind. Dann reißt er sich wieder zusammen, und die Frustration weicht so schnell aus seinem Gesicht, wie sie gekommen ist. » Ihr wolltet mir gerade sagen, wer Ihr seid?«, fragt er mit geradezu unnatürlicher Ruhe.
Ich achte vorsichtig darauf, außer Reichweite seiner Kette zu bleiben und antworte: » Ich bin die Trägerin.« Und nach kurzem Schweigen füge ich hinzu: » Und eine Königin.«
Er tippt sich mit einem krummen, dreckigen Zeigefinger gegen die Lippen. » Und Ihr seid in beidem nicht besonders gut, nicht wahr? Euer Herz schreit ob Eurer Unzulänglichkeit.« Dann wendet er sich an Sturm. » Und Ihr?«
Sturm richtet sich zu voller Größe auf. » Ein Fürst des Reiches«, erklärt er.
Ich starre ihn verblüfft an.
Er zuckt die Achseln. » Ihr habt mich nie gefragt.«
Der seltsame Mann beugt sich vertrauensvoll zu uns herüber. » Aber jetzt seid Ihr kein großer Fürst mehr, oder? Nur noch ein Schatten dessen, was Ihr einmal wart.« Er
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