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Die Feuerkrone: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Die Feuerkrone: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Die Feuerkrone: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rae Carson
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vor uns davon. Ich vermute, es sind Krabben. Oder Höhlenskorpione. Was auch immer, sie verschwinden, bevor der Schein unseres schwindenden Lichts sie erfassen kann.
    Es kommt mir vor, als ob Stunden oder sogar Tage vergehen. Unbewusst gehe ich bald im Gleichschritt mit meinem Herzschlag, der dröhnend in meiner Brust und meiner Kehle spürbar ist. Meine Lungen brennen, und das Ziehen an meinem Feuerstein ist wie ein Feuer in meinem Bauch. Jetzt müssen wir doch fast in der Spitze des hohen Berges angekommen sein. Ganz oben auf dem Dach der Welt.
    Wir umrunden wieder eine Kehre und sehen vor uns einen schwachen Schimmer Licht. Fast gleichzeitig beschleunigen wir unseren Schritt; wir brennen beide darauf, diese Enge hinter uns zu lassen. Das Licht wird stärker. Noch eine Kehre, und das Licht explodiert vor unseren Gesichtern. Ich blinzele und halte mir den Unterarm schützend vor die Augen.
    Die Nachtblüher schließen sich ruckartig. Ganz allmählich passen sich meine Augen an, und ich senke den Arm.
    Wir blicken über ein hohes Tal, grün und sanft geschwungen, eingeschlossen von Gipfeln, die bis in die Wolken ragen. Es ist dieselbe Bergkette, die ich vom Schiff aus gesehen habe, dessen bin ich mir sicher. Aber jetzt sehe ich sie von der anderen Seite und von einem wesentlich höheren Punkt.
    Genau fünf schmale Gipfel recken sich zum Himmel empor– fünf, die heilige Zahl der Vollkommenheit. Einer ist ein wenig kürzer und dicker als die anderen, wie ein Daumen, und überrascht wird mir klar, dass es von einem bestimmten Punkt tatsächlich so aussieht, wie ich mir Gottes rechtschaffene rechte Hand vorstellen könnte, und die Bäche, die durch das Tal strömen, liegen da wie die Linien seiner leicht gewölbten Handfläche.
    Es ist eine viel größere und viel grünere Version der Hand Gottes, die Lutián für den Thronsaal in Brisadulce geschaffen hat.
    Sturm greift sich an die Brust, und sein Atem wird hart, aber ich habe den Verdacht, dass das nicht an der Anstrengung liegt. Überraschung legt sich über seine Züge, und sie verleiht seinem kantigen Gesicht etwas Wilderes, fast Schönes.
    » Ihr spürt es jetzt sehr stark«, stelle ich fest.
    » Oh ja. Es tut fast weh. Wir müssen dort in das Tal hinunter.«
    Ich blicke mit zunehmender Verzweiflung die Bergflanke hinab. Sie ist viel zu steil für einen sicheren Abstieg. Vielleicht können wir uns irgendwie an den Kletterpflanzen und Farnen festhalten, die auf dem Abhang wachsen, und uns langsam hinunterlassen.
    » Da«, sagt Sturm. » Da sind Stufen in den Fels geschlagen.«
    Ich folge seiner ausgestreckten Hand und komme zu dem Schluss, dass » Stufen« eine etwas optimistische Bezeichnung ist. Es sind eher kleine Vorsprünge zum Festhalten, die mit Moos überwachsen sind. Nachdem ich mir die Nachtblüher vom Arm gewickelt habe, lasse ich mich nach unten rutschen, bohre die Hacken in die kleinen Ausbuchtungen und klammere mich an den Pflanzen in der Nähe fest.
    Ein scharfer Schmerz zuckt durch meinen Finger, und ich reiße die Hand zurück. Ein Blutstropfen quillt aus meinem Zeigefinger. Mit der anderen Hand drücke ich den Farnwedel beiseite, um zu sehen, was mich gestochen hat.
    Eine Rosenranke, die noch nicht ganz zu blühen begonnen hat. Tiefstes Rot blinzelt aus den noch grünen Knospen. Dornen umschließen die Triebe, viel länger und härter als bei normalen Rosen.
    Tränen schießen mir in die Augen. Mich überwältigt das Gefühl, dass Gott mir ein Geschenk gemacht hat.
    Ich habe keinen Priester, um mich in meinem Gebet zu begleiten, keinen heißen Altarstein, um mein Blut aufzunehmen, keinen Helfer, der meine Wunde mit Zaubernussextrakt versorgt. Aber ich habe trotzdem das Gefühl, dass dieser Augenblick genau so geschehen sollte, und daher beschließe ich, das zu tun, was ich immer tue, wenn mich eine Sakramentsrose sticht: Ich bete um einen Segen.
    In der Vergangenheit habe ich um Mut gebetet. Oder um Weisheit. Dieses Mal schließe ich die Augen und raune leise: » Bitte, Gott, gib mir Macht.«
    Dann öffne ich die Augen, drehe meine Handfläche zum Boden und lasse den Blutstropfen vom Finger auf die Erde fallen.
    Ein Grollen setzt ein– ob es der Welt um mich herum entstammt oder dem Gebet in mir, kann ich nicht sagen–, und die Erde neigt sich. Die Luft verschiebt sich wie eine Fata Morgana in der Wüste, und für einen winzigen Augenblick kann ich Linien aus schimmerndem Licht erkennen, dünne Fäden in Feuersteinblau. Sie verlaufen aus allen

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