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Die Feuerzangenbowle

Die Feuerzangenbowle

Titel: Die Feuerzangenbowle
Autoren: Heinrich Spoerl
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seine
Strafarbeit weg. Als er zu Hause saß und sie zum vierten Male abschrieb, fand
er sie gar nicht mehr komisch. Bommel wußte genau, was er wollte. Und als er
beim sechsten Male war, knallte er das Heft in die Ecke und lief zum
Druckereibesitzer Opitz. Und ließ die Sache fünfundzwanzigmal hektographieren.
Auf Zureden des Druckers fünfzigmal. Weil es dasselbe kostete.
    Aber Hans hatte Pech. Als er in der
nächsten Stunde die hektographische Strafarbeit abliefern wollte, hatte Bommel
sie längst vergessen. Jedenfalls fragte er nicht danach. Hans meldete sich und
will sie abliefern. Bommel winkt ab. Hans will sie ihm aufdrängen. Bommel
bleibt unerbittlich. Er ist nicht zu bewegen, auch nur einen Blick
hineinzuwerfen. Hans zieht beschämt ab. Sein erster großer Vorstoß gegen die
Schulzucht hatte ins Leere getroffen. Oder war Bommel klüger, als man ahnte?
     
    *
     
    Mit Dr. Brett verstand sich Hans
ausgezeichnet. Sie hatten voreinander Achtung. Sie waren gleichwertige Geister
auf verschiedenen Ebenen: Er der Schöngeist, Dr. Brett der Mathematiker.
    Brett gehörte zu den Lehrern, die es
nicht nötig haben, den trockenen Lehrstoff durch gequälte Witze schmackhaft zu
machen. Er bezog das Interesse aus der Materie selbst und zeigte seinen Jungens nicht nur die atemraubende Zwangsläufigkeit
einer mathematischen Beweisführung, sondern auch die ästhetische Schönheit
eines solchen logischen Gebäudes. Seine Entwicklungen und Lösungen erschienen
wie gotische Kathedralen von unerhörter Architektur. Wenn er sprach und mit
verhaltener Stimme auf die entscheidende Wendung hinsteuerte, hätte man das
Fallen einer Stecknadel hören können. Die Spannung war so stark, daß man
meinte, in den Köpfen das Knistern der Gedanken zu vernehmen.
    Brett hatte allerdings einige Arbeit
gehabt, bei seiner Klasse das wieder wettzumachen, was sein Vorgänger in der
Mittelstufe versaut hatte. Der alte Eberbach war jetzt glücklich in den
Ruhestand getreten und verschollen; aber der Sagenkreis, der sich um ihn
gebildet hatte, lebte fort. So erzählte man, daß Direktor Knauer den alten Mann
angewiesen hatte, seine mathematischen Aufgaben mehr dem modernen Leben zu
entnehmen. Dieser studierte daraufhin die Sportzeitung und formulierte in
seiner Tertia folgende Aufgaben:
    Erstens: Bei einem Wettrennen legt ein
Jockei die Strecke in 2 Minuten 32 Sekunden zurück. Er wog 96 Pfund. In welcher
Zeit würde er gesiegt haben, wenn er 827 Pfund gewogen hätte? — Zweitens: Ein
Engländer durchschwimmt den Ärmelkanal in sechzehn Stunden vierunddreißig
Minuten und legt dabei achtundvierzig Kilometer zurück. Wieviel Zeit würde er
brauchen, um von Dresden zum Nordpol zu schwimmen? — Drittens: Jemand wirft
einen zwei Pfund schweren Stein dreiundzwanzig Meter weit. Wie weit würde er
einen Stein von 0,3 Gramm werfen?
    Hans Pfeiffer bedauerte, den tüchtigen
Mann nicht mehr persönlich zu erleben. Dafür lernte er aber bei Dr. Brett das
Hantieren mit Differentialquotienten, Abszissen, Nullpunkten, Parabeln,
Tangenten, Hyperbeln und Schnittpunkten halber Nebenachsen. Er, der
preisgekrönte Dichter. Als wenn er nie etwas anderes im Leben getan hätte.
    Was ihn nicht hinderte, bei Dr. Brett
eine Erfindung von bedeutender Tragweite zu machen: den Vorsagespiegel.
    Obwohl er nicht unmittelbar am Fenster
saß, hatte er schon mehrfach mit seinem Taschenspiegel kecke Sonnenstrahlen
aufgefangen und spielend an die Wand oder die Decke geworfen. Als nun eines
Tages der dicke Rudi Knebel schweißtriefend an der Tafel beschäftigt war, eine
überaus wichtige Hilfslinie zu ziehen: da erschien plötzlich ein scharfer
Lichtfleck und wies der hilflosen Kreide in Rudis hilfloser Hand den rechten
Pfad. Wie weiland der Halleysche Komet den Königen aus dem Morgenland den Pfad
gen Bethlehem wies.
    Rudi Knebel wußte nicht recht, ob er
dem Irrlicht trauen dürfte. Er tat es schließlich aus Verzweiflung. Als er
merkte, daß das gefürchtete Hohngelächter der Klasse ausblieb, faßte er
Zutrauen. Glücklicherweise saß Brett wie immer auf dem Katheder schräg hinter
der Tafel und verfolgte den Gang der gestellten Aufgabe mit seinem phänomenalen
Gedächtnis. Infolgedessen konnte Hans ungestört den rettenden Lichtstrahl
geistern lassen und malte auf der Tafel nicht nur die Zeichnung, sondern auch
die algebraische Ausrechnung vor. Rudi Knebel folgte blindlings und löste die Aufgabe
mit geradezu atemberaubender Präzision. Begeistert rief Brett: „Bravo, Knebel!
Es
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