Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Feuerzangenbowle

Die Feuerzangenbowle

Titel: Die Feuerzangenbowle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Spoerl
Vom Netzwerk:
Windscheid zu wecken. Sie
hatte aber in Anbetracht des Respektes vor dem Herrn Sanitätsrat von einer
Moralpredigt Abstand genommen. Am nächsten Morgen, als Hans erst gegen zehn Uhr
wieder verhandlungsfähig wurde, hatte sie ihm sogar eine Entschuldigung
mitgegeben. „Wegen heftigen Zahnschmerzen —.“
    „Bei dem meinen habe ich das auch immer
gemußt“, beruhigte sie ihr Gewissen.
     
    *
     
    Dicht neben dem Gymnasium hatten die
Lyzen ihren Sitz.
    Lyzen sind die Schülerinnen eines
Lyzeums und sonderbare Kerle. Eine Lyze besteht nämlich aus zwei Hälften. Die
eine Hälfte ist Backfisch, werdende Dame und künftige Mutter; diese Hälfte ist
durchaus weiblich mit allen Reizen und Mängeln dieses beliebten Geschlechtes.
Die andere Hälfte der Lyze besteht aus geistiger Arbeit, Logik, Wissenschaft
und Schulbetrieb. Diese Hälfte ist nüchtern, sachlich. Man kann auch sagen: sächlich.
Selbstverständlich liegen die beiden Hälften im Kampf miteinander. Später
wächst sich das nach der einen oder anderen Seite aus. Siegt die eine Hälfte,
dann wird aus der Lyze ein braves Hausmütterchen mit allmählich verblassenden
Bildungsstreifen; gewinnt die andere Hälfte die Oberhand, dann entsteht ein
gelehrtes Haus mit verkümmernden weiblichen Kennzeichen.
    Das Pikante an der Lyze ist, daß man
noch nicht weiß, was wird. Darauf beruht ihre Beliebtheit bei jedermann, auch
bei den Primanern. Das war aber keineswegs der Grund, warum man das Lyzeum
dicht neben dem Gymnasium erbaut hatte. Das hatte man erst gemerkt, als es
fertig war. Und da war es nicht mehr zu ändern.
    Die Lyzen sieht man selten auf der
Straße. Auch den Bummel besuchen sie nur mit einer gewissen Vorsicht und mit
einem Ausredepaketchen unter dem Arm.
    Der Bummel in Babenberg findet statt am
Spätnachmittag von sechs bis sieben Uhr. Und von Axmacher bis zum Buchhändler
Mäusezahl. Er unterscheidet sich von der Tauentzienstraße dadurch, daß sich
alle Leute dauernd grüßen. Weil sich alle kennen. Und jedesmal, wenn sie sich
erneut begegnen, grüßen sie sich abermals. Weil sie sich immer noch kennen.
    Auch Pfeiffer trieb sich dort umher.
Nicht nur studienhalber. Er hatte die leise Empfindung, daß zum richtigen
Pennäler auch eine kleine Pennälerliebschaft gehört. Er wollte sich allem
unterziehen. Aber an die Lyzen traute er sich nicht heran. Er versuchte es erst
einmal mit einer Verkäuferin aus dem Modehaus Fechner. Ein süßes Mädel,
knabenhaft schlank, mit lodernden Locken.
    Er hätte es nicht tun sollen. Er wurde
elend abgeblitzt. Keß entgegnete ihm die Verkäuferin, daß sie sich nichts aus
Primanern mache; übrigens habe sie selbst einen Vetter, der auf die höhere
Schule ginge.
    Hans wurde blaß vor Wut. Wer war er
denn? Er hätte ja nur zu sagen brauchen, daß der große Roman in der Woche zum
Beispiel eine Arbeit von ihm sei. Und nicht einmal seine beste. Er brauchte ja
nur zu sagen —.
    Er sagte gar nichts. Er sagte nur:
„Bitte vielmals um Entschuldigung.“ Und schämte sich.
    Ein Pennäler hat einen Schwarm, eine Flamme;
vielleicht auch eine unsterbliche Geliebte. Aber ein Pennäler hat kein
Verhältnis.
     
    *
     
    Eine Klasse ist keine homogene Masse.
Es kristallisieren sich Gruppen heraus, Freundschaften, Banknachbarschaften
oder Interessengemeinschaften für gemeinschaftliche Hausarbeit.
    Hans Pfeiffer war Vorstand einer
solchen Interessengemeinschaft. Dazu gehörte in erster Linie noch Rudi Knebel.
Er war immer noch 1,44 groß, aber platzend vor Gesundheit und Lebenskraft, rot
und glänzend wie eine Tomate. Und schwamm in ständiger Glückseligkeit. Selbst
die bestimmte Aussicht, im Abitur durchzufallen, konnte ihn davon nicht
abbringen. Nebenher war er musikalisch wie ein Zigeunerprimas.
    Dann war da noch der Ernst Husemann.
Groß und stark wie ein Eisbär. Auch entsprechend phlegmatisch, man konnte auch
sagen faul. Und von einer aufregenden Gutmütigkeit.
    Der vierte war der kleine Luck. Es war
ein schmächtiges, überzüchtetes Kerlchen mit einem schmalen, elfenbeinfarbenen
Gesicht, großen, erstaunten Augen und mit einer geradezu pathologischen
Intelligenz, Primus wider Willen und traditioneller Prügelknabe der Klasse. Er
hatte tausend Seelen in seiner schmalen Brust, wollte jedermanns Freund sein
und erreichte genau das Gegenteil. Mit Hans Pfeiffer aber verband ihn eine
innige Freundschaft; das war der einzige, der aus seiner komplizierten Seele
klug wurde.
    Die wesentliche Funktion des Klubs war
die gemeinschaftliche

Weitere Kostenlose Bücher