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Die Feuerzangenbowle

Die Feuerzangenbowle

Titel: Die Feuerzangenbowle
Autoren: Heinrich Spoerl
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matter und mürrischer schleppte sich der Gesang. Das
Traurigste war — wenigstens in der Meinung der vereinigten Oberklassen —, daß
die Sangeskunst grundsätzlich im Stehen ausgeübt wird. Man konnte die Zeit
weder zum Anfertigen von Schularbeiten noch zum Schlafen benutzen.
    Der einzige, der sich beim Singen
anstrengte, war Hans Pfeiffer. Er brüllte aus Leibeskräften. Er brüllte mit
Hingabe. Und hatte dafür seine privaten Gründe. Er brüllte daneben.
    Auf die Dauer konnte dies selbst dem an
Mißklänge gewöhnten Ohr Fridolins nicht verborgen bleiben.
    „Das müssen Sie doch vielleicht hören.
Da singt doch jemand unrein.“
    Aus dem Hintergrund brummte einer: „Dem
Reinen ist alles rein.“
    Fridolin reagierte schon längst nicht
mehr auf Zwischenrufe. Aber der unreine Tannhäuser war wirklich nicht zu
ertragen.
    „Pfeiffer, kommen Sie mal vor. Sind Sie
das vielleicht, der so falsch singt?“
    „Ausgeschlossen.“
    „Sind Sie musikalisch?“
    „Das weiß ich nicht. Das habe ich noch
nicht probiert.“
    „Singen Sie vielleicht mal diesen Ton.“
    Fridolin schlägt auf dem Flügel das
mittlere F an. Hans knurrt im tiefstem Strohbaß ein
undefinierbares Geräusch.
    Fridolin ist nicht zufrieden.
    „Singen Sie bitte mal nach: Aaaah —“
    Hans bemüht sich, noch musikalischer zu
grunzen. Dies gelingt ihm auch zu seiner Zufriedenheit.
    „Sie singen zu tief. Hören Sie
vielleicht mal zu: Aaaaaaah —“
    Hans gibt einen jaulenden Fistelton von
sich, daß der Chor entsetzt zusammenfährt.
    „Nein, Pfeiffer, nicht so hoch. Mehr in
der Mitte dazwischen: Aaaaaaaaaaah —“
    Hans setzt abermals an und bringt einen
Ton zum Vorschein, so mehr in der Mitte und mehr dazwischen, daß er dauernd
zwischen Brust- und Fistelstimme hin- und herkickst. Er hört sich an wie das
Geschrei eines wild gewordenen Esels.
    Der Chor beneidet ihn. Fridolin denkt
einen Augenblick nach und konstatiert:
    „Sie sind noch im Stimmbruch. Aber
trösten Sie sich, das wächst sich aus. Vom Singen sind Sie natürlich
dispensiert.“
    Fortan durfte Hans Pfeiffer mittwochs
und sonnabends bereits um 12 Uhr nach Hause.
     
    *
     
    Einige Wochen waren ins Land gegangen.
    Hans Pfeiffer hatte sich schon recht
gut eingelebt. In der Schule und außerdienstlich. Er hatte die ganze
Konzentration seines dichterischen Einfühlungsvermögens dazu benutzt, um bis
zur letzten Fingerspitze in die bescheidene Bravheit eines kleinen Babenberger
Primaners zu schlüpfen. Und man muß sagen, es war ihm einigermaßen geglückt.
    Das Problem der langen Abende hatte er
überwunden. Da er früh aufstand und sich tagsüber viel herumtummelte, war er
abends rechtschaffen müde, legte sich halb zehn in die Klappe und schlief wie
ein gesunder Junge traumlos bis zum Weckerrappeln. Und da er früh zu Bett ging
und gut schlief, konnte er morgens auch gut aufstehen. Auch an Grießpudding und
Himbeersaft hatte er sich gewöhnt, und an Kakao mit Bratkartoffeln, und an
Schulbutterbrote und Streuselkuchen. Er bekam frische rote Bäckchen wie ein
Kind, und die Schülermütze stand ihm prächtig zu Gesicht.
    Auch die Bemutterung durch Frau Windscheid
nahm er geduldig hin, ebenso ihre mütterliche Neugierde. Mochte sie in seinen
Büchern und Schubladen herumkramen, er hatte nichts zu verbergen.
    Seine Briefe bekam er postlagernd unter
Deckadresse. Das gab bei der Post zwar auf die Dauer etwas Getuschel, schützte
ihn aber vor der Frau Windscheid. Diese konnte es gar nicht fassen, daß der
arme Junge gar keine Post bekam. Sie erkundigte sich nach seiner Familie. Ob
die Frau Mama nicht mal nach ihm schauen komme? Und was der Herr Papa mache? So
so, der Vater sei nicht mehr am Leben. Sie bedauerte den völlig sich selbst
überlassenen Jungen und zerfloß vor Mitleid. Der Grießpudding nahm an Umfang
und Rosinen, die Himbeersoße an Menge zu.
    Natürlich mußte Hans bei dem alten
Sanitätsrat Steinhauer einen Anstandsbesuch machen. Frau Windscheid hatte ihn
zwar vor diesem Manne gewarnt. „Das ist ein alter Junggeselle, und die tun
nicht gut. Haben Sie unten die große Kiste mit den leeren Weinflaschen gesehen?
Er soll ja auch eine Trinkerleber haben.“
    Nun war Hans erst recht neugierig.
Nachmittags um halb sechs ging er hin. Als er von dem Besuch zurückkam, war es
beinahe wieder halb sechs. Er hatte sich mit dem einsamen Mann und seinen guten
Moselweinen innigst angefreundet. Und als er die Treppe herauf kam, hatte er
keinen fallenden Spazierstock mehr nötig, um Frau
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