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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Koller nach Paris gereist war, – Pelzjackett, seidene Strümpfe, Wildlederschuhe! – Es war nicht zu leugnen, daß er Marie liebgewonnen hatte... Es war ihm, als habe er eine Tochter wiedergefunden. Denn seine Tochter hatte vor einem Jahr einen Landjäger aus dem Thurgau geheiratet – nun war sie Mutter, und dem Wachtmeister war es, als habe er sie endgültig verloren. All diese unklaren Empfindungen waren wohl schuld, daß er dem vertraulichen Kellner nur zwanzig Rappen Trinkgeld gab.
    Seine Laune besserte sich auch nicht, als er in Bern ausstieg. Die Wohnung auf dem Kirchenfeld war leer – Studer hatte keine Lust, den Ofen zu heizen. Er ging ins Café, um dort Billard zu spielen, besuchte hernach ein Kino und ärgerte sich über den Film... Später trank er irgendwo ein paar große Helle, aber auch die bekamen ihm nicht. So legte er sich denn gegen elf Uhr mit einem zünftigen Kopfweh zu Bett. Er konnte lange nicht einschlafen.
    Die alte Frau mit der Warze neben dem linken Nasenflügel, die so ruhig und gelöst in ihrem grünen Lehnstuhl saß, neben dem zweiflammigen Gasréchaud, kam in der Dunkelheit zu Besuch... Marie tauchte auf, verschwand. Dann war der Silvesterabend da, Kommissär Madelin und das Lexikon Godofrey... Besonders dieser Godofrey, der mit seiner Hornbrille einer noch nicht flüggen Eule glich, ließ sich nicht vertreiben... »Pour madame!« sagte Godofrey und reichte eine Gansleberterrine durchs Waggonfenster... Aber da wurde die Terrine riesig groß, grün und fest und grimassierend hockte sie oben auf einem Wandbrett und war ein Gaszähler – ein Kopf war dieser verdammte Gaszähler, ein Traumungetüm, das mit seinem einzigen Arm signalisierte... Senkrecht, waagrecht, schief stand der Arm... Marie ging mit dem Pater Matthias Arm in Arm – aber es war nicht Pater Matthias, sondern der Sekretär Koller, der aussah wie des Wachtmeisters Doppelgänger...
    Im Halbschlaf hörte sich Studer laut sagen:
    »Das isch einewäg Chabis!«
    Seine Stimme dröhnte durch die leere Wohnung, verzweifelt tastete Studer das Bett neben dem seinen ab. Aber das Hedy war noch immer im Thurgau, um das neue Jakobli zu pflegen... Ächzend zog er den Arm zurück, denn ihn fror. Und dann schlief er plötzlich ein...
    – Ob es in Paris schön gewesen sei, fragte am nächsten Morgen um neun Uhr Fahnderkorporal Murmann, der mit Studer das Bureau teilte. Der Wachtmeister war noch immer schlechter Laune; er grunzte etwas Unverständliches und bearbeitete weiter die Tasten seiner Schreibmaschine. Im Raume roch es nach kaltem Rauch, Staub und Bodenöl. Vor den Fenstern pfiff die Bise, und der Dampf knackte in den Heizkörpern.
    Murmann setzte sich seinem Freunde Studer gegenüber, zog den »Bund« aus der Tasche und begann zu lesen. Seine mächtigen Armmuskeln hatten die Ärmel seiner Kutte aus der Façon gebracht.
    »Köbu!« rief er nach einer Weile. »Los einisch!«
    »Jaaa«, sagte Studer ungeduldig. Er mußte einen Rapport über einen vor undenklichen Zeiten passierten Mansardendiebstahl schreiben, den der Untersuchungsrichter I mit viel Geschrei am Telephon verlangt hatte.
    »In Basel«, fuhr Murmann gemütlich fort, »hat sich eine mit Gas vergiftet...«
    – Das wisse er schon lange, sagte Studer gereizt.
    Murmann ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
    – Selbstmord mit Gas sei ansteckend, meinte er. Heut' morgen habe man ihn um sechs Uhr in die Gerechtigkeitsgasse geholt, sie hätten gegenwärtig keine Leute auf der Stadtpolizei, alles sei noch in den Ferien... Ja... Und in der Gerechtigkeitsgasse habe sich auch eine Frau mit Gas vergiftet.
    »In der Gerechtigkeitsgasse? Welche Nummer?« fragte Studer.
    »Vierevierzig«, murmelte Murmann, kaute an seinem Stumpen, kratzte sich den Nacken, schüttelte den »Bund« zurecht und las den Leitartikel weiter.
    Plötzlich schrak er auf, ein Stuhl war umgefallen. Studer beugte sich über den Tisch, sein Atem ging schwer. – Wie die Frau heiße?... Sein sonst bleiches Gesicht war gerötet.
    »Köbu«, meinte Murmann gemütlich, »hescht Stimme?«
    Nein, Studer hatte keine Gehörshalluzinationen, er verwahrte sich mit heftigem Kopfschütteln gegen derartige Zumutungen, aber er wollte den Namen der Toten wissen.
    »E G'schydni, e Charteschlägere...« sagte Murmann. »Hornuss, Hornuss Sophie«, und betonte den Vornamen auf der ersten Silbe. Die Leiche sei schon im Gerichtsmedizinischen...
    »So«, sagte Studer nur, klapperte noch einen Satz, riß den Bogen von der Walze,

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