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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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September. Viertausend Franzosenfranken hat er mir zurückgelassen, und mit dem Geld hab' ich gelangt – bis Ende Dezember. Da hab' ich grad noch genug gehabt, um nach Basel zu fahren.«
    »Warum bist du nicht mit deinem Onkel gefahren?«
    »Er hat allein fahren wollen.«
    »Hast du das Verschwinden angezeigt?«
    »Ja. Auf der Polizei. Sie hat die Papiere beschlagnahmt... Ein gewisser Madelin hat sich um die Sache gekümmert. Einmal hat er mich vorgeladen...«
    Ein Satz!... Ein Satz!... War er nicht zu erwischen, der Satz, den Kommissär Madelin gesprochen hatte, an jenem Abend, da Studer ihm das Telegramm vom neuen Jakobli gezeigt hatte? Was hatte Madelin da zum lebendigen Konversationslexikon Godofrey gesprochen:
    »... Es stimmt etwas nicht mit den Papieren des Koller...« Das war es. Handelte es sich um den gleichen Koller?
    Studer fragte:
    »Wo hat deine Mutter die Andenken an deinen Vater aufbewahrt?«
    »Im Schreibtisch«, erwiderte Marie und wandte dem Raume wieder den Rücken zu. »In der zweituntersten Schublade.«
    In der zweituntersten Schublade...
    Sie war leer. Doch das allein wäre nicht allzu auffällig gewesen.
    Auffällig aber war, daß der Einbrecher, der sie aufgebrochen hatte, sorgsam ein abgesplittertes Stück Holz wieder eingesetzt hatte. Studer schob die leere Schublade zu, dann folgte er dem Beispiel seines Vorgängers und paßte das Holzstückchen genau an seinen Platz. Er richtete sich auf, zog sein Nastuch aus der Tasche, beugte sich noch einmal zur Schublade herab und rieb dort alles sauber. Dazu murmelte er: »Man kann nie wissen...«
    »Finden Sie etwas, Vetter Jakob?« fragte Marie, ohne sich umzuwenden.
    »Die Mutter hat's wohl an einem andern Ort verräumt...«, brummte Studer. Und lauter fügte er hinzu: »Die erste Frau deines Vaters wohnt also in Bern und heißt...« Studer schlug sein Notizbuch auf, aber Marie kam ihm zuvor:
    »Hornuss heißt sie, Sophie Hornuss, Gerechtigkeitsgasse 44. Sie war die ältere Schwester meiner Mutter und eigentlich meine Tante, wenn Sie so wollen...«
    »G'späßige Familienverhältnisse«, stellte Studer trocken fest.
    Marie lächelte. Dann verschwand das Lächeln und ihre Augen wurden dunkel und traurig. – Das habe sie manchmal auch gefunden, meinte sie, und Studer schalt sich einen Dubel, weil seine dumme Bemerkung dem Meitschi sicher Kummer gemacht hatte...
    Im Flur kamen Schritte näher. Die aufgesprengte Tür kreischte in ihren Angeln und eine Stimme erkundigte sich, ob hier jemand Selbstmord begangen habe. – Es müsse wohl hier sein, sagte eine zweite Stimme, es stehe ja am Türpfosten! Cleman! Und fügte hinzu: »Äbe joo«, und da habe man die Bescherung.
    Studer kehrte in die kleine Küche zurück und stieß dort mit einem Uniformierten zusammen. Der Stoß war weich, denn der Sanitätspolizist war dick, rosig und glatt wie ein Säugling. Er schien ständig ein Gähnen unterdrücken zu müssen, überschüttete den Wachtmeister mit einem Schwall von Fragen, die tapfer mit »jä« und »joo« gewürzt waren. Außerdem gurgelte der Mann mit den »R« wie mit Mundwasser, anstatt sie ordentlich, wie sonstige Schweizer Christenmenschen, mit der Zunge gegen den Vordergaumen zu rollen. Der Herr Gerichtsarzt war alt und sein Schnauz vom vielen Zigarettenrauchen gelb.
    Studer stellte sich vor, stellte Marie vor.
    Die Tote in ihrem Lehnstuhl schien zu lächeln. Der Wachtmeister blickte ihr noch einmal ins Gesicht. Neben dem linken Nasenflügel saß eine Warze...
    Die Leiche wurde fortgebracht, und zwar durch das Türlein in der Mauer. Es dauerte lange, bis man den Schlüssel zu diesem Mauertor aufgetrieben hatte – in der Wohnung der Toten war kein einziger Schlüssel zu entdecken. Ein Mieter, vom Lärm herbeigelockt, half aus.
    Studer war müde. Er hatte keine Lust, seinem Kollegen von der Sanitätspolizei die Merkwürdigkeiten des Falles aufzuzählen: den schiefen Hebel am Gaszähler, die Ausgehstiefel der alten Frau im Schlafrock... Der Wachtmeister stand und starrte auf das Messingschild: »Josepha Cleman-Hornuss. Witwe.«
    Dann lud er Marie zu einem Kaffee ein. Das schien ihm das Vernünftigste...

Die erste Frau
    Bald nach Olten begann es zu schneien. Studer saß im Speisewagen und sah durch die Scheiben. Die Hügel, die vorbeiglitten, waren weich hinter dem weißen Vorhang, der so regelmäßig-ununterbrochen fiel, daß er bewegungslos schien...
    Vor dem Wachtmeister stand blaues Kaffeegeschirr und daneben in Reichweite eine Karaffe mit

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