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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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malte seine Unterschrift, ging zum Kleiderhaken, zog den Raglan an und schmetterte die Türe hinter sich ins Schloß...
    »Ja, ja, der Köbu!« nickte Murmann und zündete den Stumpen wieder an; dann las er schmunzelnd den Leitartikel zu Ende, der vom Anwachsen der roten Gefahr handelte. Denn Murmann war freisinnig und glaubte an diese Gefahr...
    Gerechtigkeitsgasse 44. Neben der Haustür das Schild einer Tanzschule. Hölzerne Stiegen. Sehr sauber, nicht wie in jenem anderen Haus – am Spalenberg. Im dritten Stock, auf einer gelb gestrichenen Tür, die offenstand, eine Visitenkarte:
    Sophie Hornuss
    Diese Frau war also nicht von Beruf Witwe gewesen! Studer trat ein.
    Auf dem Boden lag das Schloß, das beim Aufsprengen der Tür herabgefallen war.
    Stille...
    Das Vorzimmer geräumig und dunkel. Links ging eine Glastüre in die Küche. Studer schnupperte: auch hier wieder der Gasgeruch. Das Küchenfenster stand offen, die Lampe, die von der Decke hing, trug über dem Porzellanschirm ein Stück quadratischen Seidenstoffes von violetter Farbe, an dessen Ecken braune Holzkugeln hingen. Sie pendelte hin und her.
    Nahe dem Fenster ein solider Gasherd mit vier Brennern, Backröhre, Grill. Und neben dem Gasherd ein bequemer lederner Klubsessel, der sich merkwürdig genug in der Küche ausnahm. Wer hatte ihn aus dem Wohnzimmer in die Küche geschleppt? Die alte Frau?
    Auf dem mit Wachstuch überzogenen Küchentisch lagen Spielkarten, vier Reihen zu acht Karten. Die erste Karte der obersten Reihe war der Schaufelbauer, der Pique-Bube.
    Studer hatte die Hände auf den Rücken gelegt und ging in der Küche auf und ab, öffnete den Schaft, schloß ihn wieder, nahm eine Pfanne von der Wand, lupfte einen Deckel...
    Im Schüttstein stand eine Tasse mit schwarzem Satz auf dem Grunde... Studer roch daran: ein schwacher Anisgeruch. Er kostete.
    Der bittere Nachgeschmack, der lange an der Zunge haftete... Der Geruch! – Es war ein Zufall, daß Studer beides kannte. Vor zwei Jahren hatte ihm der Arzt gegen Schlaflosigkeit Somnifen verschrieben.
    Somnifen!... Der gallenbittere Geschmack, der Anisgeruch... Hatte die alte Frau auch an Schlaflosigkeit gelitten?
    Aber warum, zum Tüüfu, hatte sie ein Schlafmittel genommen, hernach einen Klubfauteuil in die Küche geschleppt und schließlich die Hähne des Gasherdes aufgedreht? Warum?
    Eine tote Frau in Basel, eine tote Frau in Bern... Als Verbindungsglied zwischen den beiden der Mann: Cleman Alois Victor, Geologe und Schweizer, gestorben im Militärhospital zu Fez während des Weltkrieges. Warum begingen die beiden Frauen des Mannes Cleman fünfzehn Jahre später Selbstmord? Die eine heute, die andere gestern? Begingen Selbstmord auf eine, gelinde gesagt, merkwürdige Manier?
    War dies vielleicht der »Große Fall«, von dem jeder Kriminalist träumt, auch wenn er nur ein einfacher Fahnder ist?
    »Einfach!«... Das Wort paßte eigentlich nicht auf den Wachtmeister. Wäre Studer »einfach« gewesen, so hätten seine Kollegen, vom Polizeihauptmann bis zum simplen Gefreiten, nicht behauptet, er »spinne mängisch«.
    An dieser Behauptung war zum Teil die große Bankgeschichte schuld, die ihm das Genick gebrochen hatte, damals, als er wohlbestallter Kommissär bei der Stadtpolizei gewesen war. Er hatte den Abschied nehmen und bei der Kantonspolizei als einfacher Fahnder wieder anfangen müssen. In kurzer Zeit war er zum Wachtmeister aufgestiegen; denn er sprach fließend drei Sprachen: Französisch, Italienisch, Deutsch. Er las Englisch. Er hatte bei Groß in Graz und bei Locard in Lyon gearbeitet. Er besaß gute Bekannte in Berlin, London, Wien – vor allem in Paris. An kriminologische Kongresse wurde gewöhnlich er delegiert. Wenn seine Kollegen behaupteten, er spinne, so meinten sie vielleicht damit, daß er für einen Berner allzuviel Phantasie besaß. Aber auch dies stimmte nicht ganz. Er sah vielleicht nur etwas weiter als seine Nase, die lang, spitz und dünn aus seinem hageren Gesicht stach und so gar nicht zu seinem massiven Körper passen wollte.
    Studer erinnerte sich, daß er einen Assistenten am Gerichtsmedizinischen von einem früheren Fall her kannte. Er ging durch die Wohnung und suchte das Telephon. Im Wohnzimmer – rote Plüschfauteuils mit Deckchen, verschnörkelter Tisch, Säulchenschreibtisch – war das Telephon an der Wand angebracht.
    Studer hob den Hörer ab, stellte die Nummer ein.
    »Ich möchte Dr. Malapelle sprechen... Ja?... Sind Sie's, Dottore? Haben Sie die

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