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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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bisweilen in dieser Haltung abgebildet. Studers schmaler Kopf und magerer Hals unterstrich noch diese Ähnlichkeit.
    »Also?« fragte er ungeduldig.
    »Gestern abend wurde bei uns geläutet«, sagte die dünne Dame, das heißt sie sagte: ›Göstiörn‹ und ›göloouitöt‹. »Ein kleiner Mann stand vor der Tür, gekleidet in einen blauen Regenmantel. Er sprach mit undeutlicher Stimme, denn er trug ein Cache-nez... Ein Foulard... Wie sagen Sie? Ah ja!... Eine wollene Binde um den Hals geschlungen, die auch den unteren Teil des Gesichtes verbarg...«
    Räuspern, trockenes Räuspern. Dann:
    »Den Hut...«, ›den Hiut‹, »... hatte er tief in die Stirne gezogen. Er fragte nach Frau Hornuss... ›Im Stock oben‹, antwortete ich. Der Mann dankte und ging. Es war ganz still im Haus. So hörte ich ihn an der Wohnungstür hier läuten...«
    »Um wieviel Uhr war das?«
    »Um... um... elf Uhr... Ein wenig später, vielleicht. Ich hatte eine Tanzstunde gegeben, die war fertig um fünf Minuten vor elf Uhr. Und dann nahm ich eine Dusche...«
    »Ah«, sagte Pater Matthias und rutschte noch tiefer in seinen Klubsessel. »Sie nahmen eine Dusche!... Hm!«
    »Das interessiert mich nicht!« unterbrach Studer.
    Die Dame schien die Unhöflichkeit der beiden Männer nicht zu bemerken, denn sie starrte wie verhext auf die Scheschia des Paters, die ihre Drehungen vollführte – bald langsamer, bald schneller...
    »Und dann? Haben Sie sonst noch etwas gehört?« fragte Studer ungeduldig.
    »Ja... Warten Sie... Ich hörte also läuten, unsere Wohnung liegt gerade unter dieser. Ich hatte unsere Türe nicht geschlossen, ich wollte wissen, ob Frau Hornuss öffnen würde, vielleicht war sie schon zu Bett gegangen... Aber sie schien den Besuch erwartet zu haben. Der Mann hatte kaum geklingelt, da hörte ich schon die Stimme der alten Frau: ›Ah! Endlich!‹ Es klang wie erlöst. ›Nur herein!‹ Und dann fiel die Tür wieder ins Schloß.«
    »Wir in der Schweiz«, unterbrach Studer, »sagen nicht ›Nur herein!‹ Wir sagen entweder: ›Chömmet iche!‹ oder ›Chumm iche!‹ Können Sie sich nicht erinnern, Frau... Frau...«
    »Frau Tschumi.«
    Auch das noch! dachte Studer. Eine Engländerin mit einem Berner Geschlechtsnamen! Laut:
    »Also, Frau Tschumi: Können Sie mir nicht sagen, welche Form der Anrede die Frau gebraucht hat? Ob sie den späten Besucher geihrzt oder geduzt hat?«
    »Wir in England«, es klang wie: ›Ouirninglend‹, »sagen allen Leuten ›Sie‹. Darum, ich denke, die Frau hat gesagt: ›Sie‹.«
    »Aber sicher sind Sie nicht, Frau Tschumi?«
    »Mein Gott! Sicher! Sie müssen bedenken, ich war müde. Sie sind von der Polizei?« fragte die dünne Dame plötzlich.
    »Ja... Wachtmeister Studer... – Und sonst haben Sie nichts gehört?«
    »Oh, doch«, sagte die Dame lächelnd, »eine ganze Menge... Aber verzeihen Sie, Herr... Herr... Studer...« Nun, dagegen war nichts zu machen: die Franzosen nannten einen »Ssstüdère« und die englische Dame sagte ein Wort, das klang wie »Stiudaa« – fast wie der Gesang eines zufriedenen Maudis..., »könnte jener Herr dort nicht aufhören mit seiner Kappe zu spielen, es macht mich nervös...«
    Pater Matthias errötete wie ein ertappter Schulbube, stülpte rasch die Scheschia über seinen Schädel und steckte die Hände in die Kuttenärmel.
    »Ich habe gehört«, sagte die Dame und wand sich wieder wie eine Schlange, »Schritte in der Küche. Dann das Schleifen eines schweren Dinges durch die ganze Wohnung. Dann Stimmengemurmel, lange, sehr lange, fast über eine Stunde. Ich sage zu meinem Manne: ›Du, was ist das, die alte Lady, sie hat nie Besuch bekommen, so spät, was ist los dort oben...‹ – Sie verstehen, Inspektor«, das ›S‹ sprach sie scharf aus, das letzte ›R‹ verschluckte sie, »wir haben die alte Lady gern gehabt. Sie war ganz allein, manchmal wir haben ihr einen Besuch... abgestattet, manchmal ist sie gekommen zu uns. Sie immer war traurig...«
    »Jaja«, sagte Studer ungeduldig, »weiter!«
    »Plötzlich ist es still geworden in der Küche. Jemand ist leise durch die Wohnung gegangen, so leise, als ob jemand seine Schritte bewußt dämpfen wolle. Bei uns unten hören wir sehr deutlich, was in der oberen Wohnung geschieht; der Boden ist wohl hohl... Dann ist aufgegangen die Wohnungstür, ich habe die unsrige auch geöffnet... Wissen Sie, Inspektor, die Neugierde! Dann ist der Schlüssel umgedreht worden im Schloß von die Wohnungstür. Und Stille...

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