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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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interessieren, die magere Geiß – äksküseeh: die Tanzlehrerin, im ersten Stock, habe ihm geraten, seine Beobachtungen mitzuteilen. Das tue er hiermit...
    »Märci!« sagte Studer zum dritten Male – sehr trocken. Aber da er gewissenhaft war, schrieb er den Namen des »Rüfenacht Ernst, Gerechtigkeitsgasse 44« in sein Notizbuch, denn der Mann kam, wie Frau Tschumi, als Zeuge in Betracht.
    Und dann blieb der Wachtmeister, abwesenden Geistes, auf seinem Hockerli vor dem mit Wachstuch überzogenen Küchentisch sitzen. Es wuchs der Aschenkegel an seiner Brissago – drückend und schwer lastete die Stille über dem Raum. Manchmal wurde sie durchbrochen von einem schüchternen Schneuzen. Dann schielte Studer unter gesenkten Augendeckeln hinüber zu Pater Matthias, der in seinem Passe »Koller Max Wilhelm« hieß und dennoch behauptete, der Bruder eines verstorbenen Geologen zu sein. Aber der Name des Toten war »Cleman« gewesen, »Cleman« – und nicht »Koller«... »Wie reimt sich Stroh auf Weizen...« Und wie reimte sich Koller auf Cleman?...
    Zwei Männer, ein kleiner, in einem blauen Regenmantel; ein großer, der vor der Haustür wartet... Eine alte Frau legt Patiencen in ihrer einsamen Wohnung – oder spielt sie ein weniger harmloses Spiel? Schlägt sie ihrem Besucher die Karten? Oder sich selbst? Dieser Besucher!... Klein soll er sein – wie der Weiße Vater! Und Augen soll er haben – wie der Weiße Vater!... Wenigstens hatte Frau Tschumi dies behauptet.
    Das Chacheli mit dem Kaffeesatz und dem Rest Somnifen war ausgespült worden. Wann?... Der Wachtmeister war durch die Wohnung gegangen und bei seiner Rückkehr in die Küche hatte der Pater im Lederfauteuil gehockt... Merkwürdig übrigens, wie gut Pater Matthias Bescheid wußte... Hier der Kaffee! – da der Kirsch!... War er erstaunt gewesen, daß am Schlüsselloch des herausgebrochenen Schlosses Fasern klebten? – Kes Bitzli! Aber plötzlich war er in Tränen ausgebrochen, wie ein Kind, als man ihn des Mordes beschuldigt und um seine Papiere gebeten hatte...
    Zwiespältigkeit! Das einzig richtige Wort!...
    Es war nicht zu leugnen, der Mann in der weißen Kutte flößte dem Wachtmeister Mißtrauen ein und dann wieder Vertrauen. Zwiespältigkeit: Wenn er Vorträge hielt – über den Kardinal Lavigerie oder über den pythagoreischen Lehrsatz, – war etwas Kindliches in seiner Art zu sprechen; aber wenn er schwieg, lag in seiner Stummheit etwas Schlaues, Verschlagenes... Das Kindliche, Weltfremde ließ sich leicht erklären: nicht umsonst war der Missionar jahrelang durch die weiten Steppen gewandert, um in verlorenen Posten Messen zu lesen, Beichten zu hören... Und das Verschlagene? Konnte man diese Art sich zu geben einfach Verschlagenheit nennen? War es nicht eher etwas wie Verlegenheit: dieses übertrieben sichere Gebaren in einem Raum, der immerhin der Schauplatz eines Mordes gewesen war. Verlegenheit: die unwahrscheinliche Geschichte vom Hellseherkorporal Collani in Géryville...
    Und während das Schweigen weiter über der Küche lastete, schrieb Wachtmeister Studer in sein neues Ringbüchlein:
    »Madelin in Géryville anfragen lassen, ob Korporal Collani wirklich verschwunden ist!«
    Er räusperte sich, streifte die Asche von der erkalteten Brissago, zündete sie von neuem an und fragte ohne aufzublicken:
    »Warum heißet Ihr anders als Euer Bruder?« Die Worte verhallten in der Küche und dann fiel es Studer auf, daß er zum Weißen Vater »Ihr« gesagt hatte, wie zu einem gewöhnlichen Angeklagten...
    »Er war...« – Schlucken – »er war mein Stiefbruder... aus der... aus der... ersten Ehe meiner Mutter...«
    Studer blickte auf und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Pater Matthias hatte wieder seine Scheschia über den Zeigefinger seiner Rechten gestülpt und brachte sie durch kleine Stöße der Linken zum Kreisen. Die Tränen trockneten von selbst. Aber nach dieser einen Antwort blieb der Mund des Paters verschlossen und Studer gab das Verhör auf.
    Zwei Stunden später – es war inzwischen halb eins geworden – ereignete sich folgender peinlicher Vorgang: Ein Wachtmeister der Berner Kantonspolizei ging mit einem weißbekutteten Pater, dessen nackte Zehen aus offenen Sandalen hervorsahen, unter den Lauben der Stadt Bern spazieren. In diesen zwei Stunden war allerhand Arbeit geleistet worden – und daß diese Arbeit nicht resultatlos verlaufen war, hatte Studer einerseits seinem Glück, andererseits seinen guten Beziehungen zu

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