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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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ob seiner Familiarität zu mißfallen. Sie zog die Haut neben der Nase in die Höhe und verließ wortlos die Wohnung. Unten hörte man sie mit schrillem Gekeif etwas erzählen – dazwischen sprach eine tiefe Stimme beruhigende Worte.
    »Es stimmt schon: man kann in der einen Wohnung ganz gut hören, was in der anderen vor sich geht. Meinen Sie nicht auch, Pater Matthias?«
    Der Pater stand auf. Die Scheschia saß schief auf seinem kleinen Schädel. Seine Augen waren auf Studers breite Brust gerichtet, so, als wollten sie einen stummen Appell an jenes Organ richten, das allgemein als Sitz der Gefühle angesehen wird... Aber des Wachtmeisters Herz verstand nicht den Sinn dieses lautlosen Rufes.
    »Ich bin gleich wieder da, dann können wir gehen«, sagte Studer und ließ den Pater stehen. Als er wiederkam, begleitet von der Tanzlehrerin, stand Pater Matthias immer noch mitten in der Küche und der Ausdruck seines Gesichts war ein geduldig-leidender.
    Studer deutete mit einer Kopfbewegung auf den Mann in der weißen Kutte und fragte: »Ja?«
    »Yes!« sagte die Dame und verscheuchte mit angeekelter Miene den blauen Rauchwimpel, der an des Wachtmeisters Brissago flatterte. »Die Augen«, fügte die Dame hinzu. »Ich glaube, die Augen stimmen...«
    »Määrci...« sagte Studer breit und die Dame verschwand.
    Das Schweigen in der hellen Küche wurde drückend, aber keiner der beiden Männer schien Lust zu haben, es zu brechen. Umständlich zog Studer seine Handschuhe an – dicke, grauwollene Handschuhe – die Brissago saß ihm im Mundwinkel und sie war wohl daran schuld, daß die folgenden Worte ziemlich gequetscht klangen:
    »Wissen Sie, Pater, daß Sie verdächtig sind? Die Dame glaubt, Sie wiederzuerkennen. Die Gestalt stimme, sagt sie... Und auch die Augen... Sie werden mir genau beweisen müssen, wann Sie gestern Basel verlassen haben – wann Sie in Bern angekommen sind... Und dann muß ich Sie bitten, mir Ihre Papiere zu zeigen.«
    Wahrhaftig! In die Augen des alten Mannes traten Tränen! Sie liefen ihm über die Backen, blieben im grauen Schneiderbärtchen hängen, neue kamen, ein feuchtes Aufschlucken, das ganz wie Schluchzen klang, noch eins... Und die Rechte fuhr in die tiefe Tasche, während die Linke den Kuttenzipfel festhielt. Ein Nastuch kam zum Vorschein, dessen Gebrauch sich als notwendig erwies, die Lupe, die Schnupftabaksdose – und endlich, endlich der Paß.
    »Määrci...« sagte Studer, genau so breit wie vor einer kleinen Weile. Aber die Betonung war eine andere. Es schwang eine Entschuldigung in dem Wort mit.
    »Passeport Pass Passaporto... pour... für... per...«
    »Was... was... bedeutet denn das?« fragte Studer.
    Denn hinter den drei Verhältniswörtern stand:
    »Koller Max Wilhelm.«
    Da streifte Wachtmeister Studer seine grauwollenen Handschuhe wieder ab, stopfte sie in die Tasche, setzte sich auf das Hockerli, zog sein neues Ringbuch aus der Busentasche, und während er, ohne aufzublicken, den Paß mit angefeuchtetem Zeigefinger durchblätterte – mit Bewegungen, wie sie jedem Polizeibeamten, von Kapstadt bis zum Nordpol und von Bordeaux bis San Franzisko, rund um die Erde, eigen sind – sagte er:
    »Hocked ab...«
    Er blickte nicht auf, sondern hörte nur die Federn des Klubsessels ächzen – jenes Klubsessels, in dem die alte Frau für ewig eingeschlafen war...
    Aber das nun fällige Verhör sollte nicht ganz ungestört vonstatten gehen; denn unter der Küchentür stand ein ältlicher Mann, der sich auf Bärndütsch erkundigte, ob hier ein Fahnder sei, er habe etwas zu erzählen...
    Er sprach viel und lange, der ältliche Mann, aber was er zu sagen hatte, ließ sich in ein paar Sätzen zusammenfassen:
    Er hatte, als er spät am Abend heimgekehrt war – er wohne im Parterre, teilte er mit, und somit war es nicht schwer zu erraten, daß es sich um den Herrn handelte, der immer seinen Schlüssel vergaß – vor dem Hause ein wartendes Auto vorgefunden. Auf dem Trottoir sei ein großer Mann auf- und abgegangen. Der Erzähler habe sich bei dem großen Mann erkundigt, ob er auf jemanden warte, sei jedoch mit einer brummigen Antwort abgespeist worden. Gleich darauf sei ein kleiner Mann in einem blauen Regenmantel aus der Haustüre gestürzt – »usecheibet« – habe den Großen am Arm gepackt, ihn ins Auto gestoßen, den Schlag zugeworfen – und fort... Er, der Erzähler – Rüfenacht, Rüfenacht Ernscht – habe gemeint, das könne die Tschuggerei – äksküseeh: die Polizei –

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