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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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schlecht!
    Studer hörte zerstreut zu. Dann meinte er bissig: Wenn nur sie, die Marie, allein im Spiele wäre, nicht den kleinen Finger tät' er mehr rühren. Aber es stünden Staatsinteressen auf dem Spiel. Staatsinteressen! wiederholte er und fuhr dem Meitschi mit dem Zeigefinger vor der Nase hin und her.
    Marie lief davon. Der Wachtmeister aber blieb an derselben Stelle stehen, seine Hände lagen gefaltet auf dem Rücken und er schüttelte den Kopf, schüttelte ihn lange und ausgiebig, wie ein Roß, das die Bremsen plagen...
    Es war eine Schande. Und eine Schande war's, sich so übers Ohr hauen zu lassen! Eine Entschuldigung hatte man. Es war das erstemal, daß man mit einem solchen Gegner zu kämpfen hatte. Und glatt wäre man unterlegen – wenn nicht, wenn nicht im letzten Moment etwas Unwägbares, etwas, das zu den Imponderabilien gehörte –Imponderabilien! Das Lieblingswort eines Mannes, von dem man einmal viel gelernt hatte – ja, wenn nicht etwas Unwägbares eingetroffen wäre. Etwas ganz Einfaches: daß der Beherrscher des Postens Gurama sich in ein Mädchen verliebt hatte...
    Noch lange wäre der Wachtmeister am gleichen Platz stehengeblieben, aber Lartigues Stimme weckte ihn.
    »Was ist los, Inspektor? Machen Sie Morgengymnastik? Finden Sie, Ihr Hals werde zu dick? Wackeln Sie deswegen mit dem Kopf?«
    Studer blickte auf – nein, er blickte nicht, er glotzte. Er hatte den gleichen stumpfen Blick wie schon einmal.
    »Eine Frage, Capitaine«, sagte er. »Wie haben Sie – wenn ich nicht indiskret bin – Maries Bekanntschaft gemacht?«
    »Wir haben uns in Paris kennengelernt, einmal, als ich Urlaub hatte. Kennen Sie Bullier?« Studer nickte. Er kannte den Ballsaal im Montparnasse-Quartier. »Dort haben wir zusammen getanzt. Und auch die nächsten Tage haben wir uns öfters getroffen, bis mein Urlaub zu Ende war...«
    »Gut. Aber wie ist Marie nach Gurama gekommen?«
    »Am 2. Januar«, sagte Capitaine Lartigue, »habe ich von Marie ein Telegramm erhalten...« Er zog eine Brieftasche aus der Tasche, entnahm ihr ein zusammengefaltetes Papier und reichte es dem Wachtmeister. Außer der Adresse standen nur drei Worte darauf:
    »Brauche fünftausend Marie.«
    »Suumeitschi!« murmelte Studer, und Lartigue erkundigte sich, was der Herr Inspektor gesagt habe.
    »Ein gutes Mädchen«, übersetzte der Wachtmeister das Dialektwort.
    »Ja«, meinte Lartigue trocken. »Übrigens hätte ich gern dem Gespräch zugehört, das Marie in Fez mit dem Direktor des Sanitätswesens für Marokko gehabt hat. Es stimmt ja, ich habe schon einige Male eine Krankenschwester verlangt... Aber der Direktor hat Generalsrang und ist als Weiberfeind bekannt...«
    Studer lachte, lachte lange und laut, schlug sich klatschend auf die Schenkel, so daß ihn der Capitaine erstaunt von der Seite betrachtete. Mit einem Schlag verstummte das Lachen, Studer wandte sich um und sagte mit einer Stimme, die ihm der Capitaine nie zugetraut hätte – sie triefte von süßer Höflichkeit wie ein Ankenbrot, das man zu dick mit Hung bestrichen hatte.
    »Sie hier, mon père? Wie geht es Ihnen? Haben Sie Ihr Sorgenkind schon gesehen?«
    »Ah, Inspektor, wie freue ich mich!« Ganz wenig nur zitterte das Schneiderbärtchen. »Sie müssen verzeihen, wenn ich Ihnen damals in Bern durchgebrannt bin, aber ich habe meine Schulden bezahlt, niemand hat meinetwegen Schaden erlitten. Und ich wußte, daß man mich notwendig in Marokko brauchte... All meine verlorenen Schäflein, Inspektor, sie riefen nach mir. Konnte ich da meine Ohren verschließen?«
    »Aber, mein lieber Vater! Wer hätte dies von Ihnen verlangt? Habe ich es Ihnen nicht deutlich zu verstehen gegeben, daß wir in der Schweiz immer bestrebt sind...«
    Weiter kam Studer nicht. Pater Matthias unterbrach ihn mit einer Handbewegung.
    »Wie freue ich mich, Sie hier gefunden zu haben. So werden wir gemeinsam den Capitaine aufklären können über die Rolle, die in dieser Affäre ein unglücklicher Mensch gespielt hat, der sich vor der Strafe in die Legion geflüchtet hat. Aber nicht wahr, Capitaine Lartigue, Mörder muß auch die Legion ausliefern...«
    Es war ein Triumph für den Berner Wachtmeister, den Mann, der ihm als Willkommensgruß einen Boxkampf angeboten hatte, unsicher und verlegen zu sehen.
    »Einen Mörder? In meiner Kompagnie?« fragte er.
    Pater Matthias' Augen standen voll Tränen.
    »Leider«, sagte er. »Leider ist es so. Und ich bin sicher, unser Schweizer Inspektor hat die lange Reise

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