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Die Flamme erlischt

Die Flamme erlischt

Titel: Die Flamme erlischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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der Wald immer dichter und knorriger. Die Würger formten an manchen Stellen eine undurchdringliche Mauer und zwangen ihn zu Umwegen, aber in allen Richtungen sah es gleich aus, und man konnte sich leicht verlaufen. Das Licht im Osten hatte eine rötliche Färbung angenommen. Dort irgendwo erhob sich Fetter Satan, um seinen Wegweiser aus dem morgendlichen Zwielichthimmel zu waschen. Er versuchte, noch schneller zu laufen.
    Er hatte weniger als einen Kilometer zurückzulegen, weniger als einen Kilometer. Aber nackt in einer urwüchsigen Wildnis, den Tod vor Augen, war ein Kilometer eine schrecklich lange Strecke. Er rannte schon zehn Minuten, als er die Braithhunde wie verrückt hinter sich bellen hörte.
    Von diesem Zeitpunkt an dachte er weder nach, noch machte er sich Sorgen. Er rannte.
    Schwer atmend, blutend, am ganzen Körper zitternd, verletzt, rannte er wie ein Tier in panischem Schrecken. Der Lauf wurde zu einer zeitlosen Angelegenheit, zu einer endlosen Tortur, einem Fiebertraum, in welchem auf und nieder stampfende Füße, schmerzhafte Empfindungen, abgerissene Eindrücke und das Bellen der stetig näherkommenden Hunde die Hauptrollen spielten. Er rannte und rannte und kam nirgendwo an. Er rannte wie ein Besessener, aber er kam nicht vom Fleck. Er krachte in eine dichte Feuerrosenhecke, und die rotgespitzten Dornen durchstachen seine Haut an hundert Stellen, aber er schrie nicht, er rannte unablässig. Er erreichte eine Lichtung, die von glattem grauen Schiefergestein bedeckt war und versuchte zu schnell darüber hinwegzusetzen. Er stolperte, fiel und schlug mit dem Kinn voll gegen den harten Untergrund. Sein Mund füllte sich mit Blut – er spuckte es aus. Blut war auch auf dem Felsen, kein Wunder, daß er ausgerutscht war, sein Blut, aus den Wunden an seinen Füßen.
    Er kroch über das glatte Gestein, erreichte wieder den Wald und begann erneut unbeherrscht loszurennen, bis er bemerkte, daß er nicht nach seinem Leuchtfeuer Ausschau hielt. Als er es wiedergefunden hatte, glimmte es nur noch schwach und seitlich hinter ihm. Ein kleines Pünktchen am scharlachroten Himmel. Er fuhr herum und lief darauf zu, wieder über die Felsplatte. Auf der anderen Seite stolperte er über Wurzeln, trat auf unsichtbare Zweige, riß, wild mit den Armen um sich schlagend, Buschwerk zur Seite. Dann stieß er mit dem Kopf gegen einen tiefhängenden Ast, so daß er beinahe gestürzt wäre. Benommen rannte er weiter. Auf einem schwarzen, mit rosa Schleim überzogenen und verfault riechenden Moosbett wäre er beinahe ausgeglitten. Im letzten Moment konnte er sich fangen und weiterrennen, immer weiter. Er sah zu seinem Leitstern hoch – und er war verschwunden. Er lief weiter. Es mußte einfach der richtige Weg sein, sonst... Hinter ihm bellten die Hunde. Es war nur ein Kilometer, weniger als ein Kilometer. Er fröstelte. Ihm war heiß. In der Brust peinigten ihn tausend Nadeln. Er rannte weiter, ruderte mit den Armen, stolperte und fiel, raffte sich auf, hetzte weiter. Die Hunde waren hinter ihm, ganz nahe, ganz nahe, die Hunde waren hinter ihm.
    Und dann plötzlich – er wußte nicht, wann oder wie lange er gelaufen war, er wußte nicht, welchen Weg er zurückgelegt hatte, denn der Stern war fort – glaubte er einen leichten Brandgeruch wahrzunehmen. Mit langen Sätzen sprang er in die vermeintliche Richtung, zwischen den Bäumen hindurch auf eine Lichtung hinaus, jagte auf die andere Seite der öden, unbewachsenen Stelle zu – und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Die Hunde waren direkt vor ihm.
    Wenigstens einer. Knurrend, mit kleinen, bösen Augen, die haarlose Schnauze geöffnet, so daß die häßlichen Fangzähne entblößt waren, kam er aus dem Wald geschlichen. Dirk versuchte, um ihn herumzulaufen, aber das Tier hatte ihn schon erreicht, sprang ihn an, warf ihn um und war wieder auf allen vieren. Mit einiger Anstrengung kam Dirk erneut auf die Knie, der Hund umkreiste ihn und schnappte unerbittlich zu, wenn er Anstalten machte, sich zu erheben. Das hatte ihm bereits einen tiefen Biß am linken Arm eingebracht. Er verlor zwar Blut, aber der Hund fuhr ihm nicht an den Hals, um ihn zu töten. Abgerichtet, dachte Dirk, er ist abgerichtet. Der Hund umkreiste ihn fortwährend und ließ ihn keinen Sekundenbruchteil lang aus den Augen. Pyr hatte ihn vorausgeschickt und kam mit seinem teyn und den anderen Hunden nach. Der hier würde ihn zur Unbeweglichkeit verdammen, bis die anderen heran waren.
    In wilder Verzweiflung

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